Immer hab ich dich geliebt
erwiderte er und wies mit dem Kopf auf den hohen Schneeberg direkt im Vorgarten.
Antonia verbrachte das Wochenende mit Auspacken und ging gleich am folgenden Montag zur Arbeit. Sie mochte die Schulleiterin, eine noch junge Frau mit guten Ideen für Neuerungen im Bildungsbereich.
Antonia mochte auch ihre Klasse. Den ersten Tag verbrachte sie damit, sich mit den Namen der Kinder bekannt zu machen. Einer der Namen traf sie bis ins Herz.
Maggie Long.
Es hätte eine zufällige Übereinstimmung sein können. Aber als sie den Namen des Mädchens aufrief und das verdrossene Gesicht mit den blauen Augen und dem kurzen schwarzen Haar sich ihr zuwandte, wusste Antonia sofort, wer dieses Kind war. Es war Sallys Gesicht, nur der Blick war anders. Es war Powells Blick.
Antonia starrte das Kind an. Dann ging sie die Bankreihen entlang, an dem Mädchen vorbei, bis sie vor Julie Ames, die ganz hinten saß, stehenblieb. Sie lächelte Julie an, die fröhlich zurücklächelte. Antonia erinnerte sich an Danny Ames aus ihrer eigenen Schulzeit. Seine rothaarige Tochter sah genau so aus wie er. Antonia hätte sie überall als Dannys kleines Mädchen erkannt.
Dann kehrte sie zu ihrem Pult zurück, holte die Blätter für den Rechtschreibtest aus der Mappe und fing an, sie zu verteilen.
“Das ist eure Hausaufgabe für morgen. Außerdem möchte ich, dass ihr für Freitag einen kurzen Aufsatz über euch selbst schreibt”, sagte sie mit einem Lächeln. “Auf diese Weise lerne ich euch besser kennen.”
Julie hob die Hand. “Miss Hayes. Mrs. Donalds hat immer eine Klassensprecherin gewählt. Und wen sie gewählt hat, der musste es eine Woche lang sein, und dann kam jemand anderer dran. Werden Sie das auch tun?”
“Das ist ein guter Gedanke, Julie. Du kannst dann Klassensprecherin für diese Woche sein.”
“Danke, Miss Hayes!”, rief Julie beigeistert.
Antonia bemerkte, wie Maggie Long sie böse anstarrte. Das Kind benahm sich, als ob es Antonia hasste, und für einen Moment fragte Antonia sich, ob Maggie womöglich etwas über die Vergangenheit wusste. Aber dann, wie könnte sie?
Sie entließ die Klasse am Ende der Stunde. Es war gut, sich mit Dingen zu beschäftigen, die außerhalb ihrer selbst lagen. Aber am Abend setzten die quälenden Gedanken wieder ein.
Gleich am nächsten Tag suchte Antonia Dr. Harris auf. Damit ihr Vater sich nicht wunderte, falls er sie in die Praxis hineingehen sah, erzählte sie ihm, dass sie Vitamine brauchte.
Dr. Harris' Besorgtheit war ihm anzusehen, als sie ihm von Dr. Claridges Diagnose berichtete.
“Du solltest nicht warten”, sagte er entschieden. “Es ist immer besser, so etwas ganz früh aufzufangen. Komm her, Antonia.”
Er untersuchte ihren Nacken mit geschickten Händen. “Geschwollene Lymphknoten … Hast du an Gewicht verloren?”, fragte er, als er mit den Fingern ihren Puls fühlte.
“Ja. Ich habe viel gearbeitet”, antwortete sie lahm.
“Rauer Hals?”
Sie zögerte und nickte dann.
Er seufzte. “Ich lass mir den ärztlichen Befund hierher faxen”, sagte er. “In Sheridan gibt es einen Spezialisten für Onkologie”, fügte er hinzu. “Aber du solltest nach Tucson zurückkehren, Antonia.”
“Sagen Sie mir, was ich zu erwarten habe”, erwiderte sie stattdessen.
Er hatte Bedenken, offen zu ihr zu sein, aber als sie darauf bestand, atmete er tief ein und klärte sie auf.
“Du kannst es bekämpfen”, beharrte er. “Du kannst die Krankheit in Schach halten.”
“Für wie lange?”
“Einige Leute haben es 25 Jahre geschafft.”
Sie blickte ihn prüfend an. “Aber Sie glauben nicht, dass mir noch 25 Jahre gegeben werden.”
Dr. Harris überlegte seine Antwort. “Antonia, die Forschung auf dem Gebiet der Medizin macht Fortschritte und das in einem guten Tempo. Die Wahrscheinlichkeit ist immer, immer gegeben, dass ein Mittel gefunden wird …”
Sie hob eine Hand. “Ich möchte mich heute nicht entscheiden müssen”, fiel sie ihm erschöpft ins Wort. “Ich brauche nur … ein wenig Zeit”, fügte sie mit einem bittenden Lächeln hinzu. “Nur ein wenig Zeit.”
Antonia hatte den Eindruck, dass Dr. Harris sich in die Zunge biss, um keine Einwände zu machen. “Nun gut. Ein wenig Zeit”, sagte er nachdrücklich. “Vielleicht entscheidest du dich für die Behandlung, nachdem du alle Möglichkeiten erwogen hast, und ich werde für dich tun, was ich kann. Aber, Antonia …” Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch und begleitete sie zur Tür. “Es
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