Immer Schön Gierig Bleiben
stieg ein und setzte sich vorn auf den Platz, der mit einem kleinen Kreuz markiert war. Er röchelte und hustete Rotz aus den Tiefen seiner Nebenhöhlen und seiner Bronchien hervor.
Ihr Spezialist für Prepaid, Orchidee Nails. Das größte Bräunungscenter der Stadt. Platz der Stadt Hof, Anzengruberstraße. Exotisches Neukölln. Footlocker, Ria Money Transfer, totobet. de, Spätkauf. Vor dem Laden Queen-Brautkleider stand ein Mann auf einer Trittleiter und putzte den Schriftzug, der wie aus Gold im Morgenlicht glänzte. Die Wildenbruchstraße eng und mit Bäumen bestanden – die Busse quetschten sich aneinander vorbei, man konnte den Fahrgästen im anderen Bus in die Augen sehen. Haltestelle Heidelberger Straße, die Markierung für den Verlauf der Mauer im Asphalt. Elsenstraße / Ecke Kiefholzstraße, ein Restaurant hieß unbescheiden
Welt des Essens
, die alte Brücke der Eisenbahngesellschaft seit 1906, heute ein Spazierweg. Das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, fünfhundert Millionen Daten in einem Monat, aber wenn ein türkischer Gemüsehändler vor den Augen seiner Familie ermordet wurde, grassierte acht Jahre lang die Unwissenheit. Die Blaue Apotheke mit Riesenblumen davor wie in einer Inszenierung von
Cosi fan tutte
in der Staatsoper im Schillertheater. S-Bahn Treptower Halde, schlagartig war der Bus fast leer. Graffiti auf der Elsenbrücke:
Stell dir vor, du wachst morgens auf und die Musik ist weg
.
Pachulke blickte sich um. Der Mann war verschwunden und mit ihm der Obertongesang. Er fühlte einen Stich in der Brust. War es das, was man den kleinen Tod nannte? Der Bus bog rechts ab. Glasbläserallee. Jetzt war Pachulke wieder der einzige Passagier im Unterdeck. Ein riesiges Schild:
River Residences Family Housing Urban Living – Musterwohnung zu besichtigen
. Links ein Trampolin, rechts ein Carport. Eine Tiefgarage, ein paar Baucontainer umgeben von Aushub. Tunnelstraße. Endstation.
Grellert sah Pachulke auffordernd an, aber der war kein Passagier wie jeder andere.
»Ich hätte da noch ein paar Fragen an Sie.«
»Was wollen Sie denn hören?«, fragte Grellert. Er hatte seinen Bus abgeschlossen und stand mit Pachulke auf der Wiese am Fluss neben dem Friedhof. Ein paar Schritte weiter links war Verena Adomeit erwürgt worden.
»Es gab eine ganze Menge Leute auf dieser Tour, von denen Sie keinen Fahrschein sehen wollten«, sagte Pachulke.
Grellert nickte. »Ja, wenn ich die Tour in der Stunde zwischen zehn und elf unter der Woche fahre, gibt es viele bekannte Gesichter. Und wieso sollte ich die Leute stressen? Wieso sollte ich mir Stress machen? Wenn jemand am Dienstag seine Monatskarte dabeihat, hat er sie auch am Mittwoch dabei.«
»Und wenn nicht? Monatskarten sind übertragbar.«
»Ich kenne keinen Berufstätigen mit festen Arbeitszeiten, der seine Monatskarte verleiht. Aber das handhabt jeder Fahrer anders, und kein Fahrgast weiß, wer die Schicht fährt oder welchen Bus er erwischt.« Er sah aufs Wasser hinaus, wo die Möwen kreisten.
»Gibt es hier auch Raubvögel?«, fragte Pachulke.
»Eigentlich nein«, sagte Grellert. »Wieso fragen Sie?«
»Meine Kollegin war vor ein paar Tagen auf der Treptower Halde und hat einen Raubvogel gesehen, der einen Salto geschlagen hat.«
»Ein Gaukler –
terathopius ecaudatus
«, sagte Grellert. »Der lebt eigentlich in Afrika. Südlich der Sahara.«
»Wie hält er es hier aus?«
»Keine Ahnung, wie es ihn hierher verschlagen hat.«
»Und wieso heißt er Gaukler?«
»Weil er ein Kunstflieger ist. Die fliegen so, weil es ihnen Spaß macht.«
»Und was frisst so ein Gaukler?«
»Jedenfalls keine Möwen, sonst hat er die ganze Meute gegen sich. Eine einzelne Möwe wäre eine sichere Beute, aber mit einer Kolonie von einigen tausend Vögeln wird er sich nicht anlegen. Gegen einen Möwenschwarm zieht auch ein Adler den Kürzeren.«
»Ein Adler? Ich denke, er heißt Gaukler.«
»Der Gaukler gehört zu den Schlangenadlern.«
»Aber Schlangen wird er hier nicht finden.«
»Nein, aber Ratten, Mäuse, Frösche, andere Vögel, die nicht in Schwärmen leben. Vielleicht auch mal ein Kaninchen oder einen Maulwurf.«
»Dass die Frau mit dem Rollstuhl an der Haltestelle in Westend wartet, wussten Sie«, sagte er.
»Ja«, sagte Grellert, ohne Pachulke anzusehen. »Bei der bin ich mir absolut sicher. Die fährt zweimal die Woche zur Krankengymnastik. Und heute sind wir pünktlich losgefahren.«
»Wie hoch ist denn der Anteil an Stammgästen auf der Linie
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