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Immer Schön Gierig Bleiben

Immer Schön Gierig Bleiben

Titel: Immer Schön Gierig Bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Alef
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104?«
    »Hoch. Wir kommen an keinen wirklich wichtigen Sehenswürdigkeiten vorbei, vom Rathaus Schöneberg mal abgesehen. Auf den Linien, die durch Mitte fahren, sind zwischen neun und fünf fast nur Touristen unterwegs. In den Bussen, die zum Krankenhaus fahren, wechseln die Fahrgäste auch. Es gibt nur ganz wenige Leute, die jeden Tag immer zur selben Zeit einen Krankenhausbesuch machen. Auch das Personal arbeitet in unterschiedlichen Schichten.« Grellert wandte sich vom Wasser ab und spazierte zurück zum Bus.
    »Sie haben bestimmt einiges erlebt. Wie lange fahren Sie schon Bus?«
    »Für die BVG seit zwölf Jahren, aber die wirklich guten Geschichten habe ich auf den langen Strecken erlebt.«
    »Haben Sie schon mal erlebt, dass sich Menschen im Bus ineinander verliebt haben?«
    »Das kommt dauernd vor. Schüler, die für ein paar Stationen den gleichen Schulweg haben, aber auf verschiedene Schulen gehen. Sie sehen sich jeden Morgen, lange Zeit passiert nichts, und plötzlich steigen sie Hand in Hand ein.« Sie waren am Bus angekommen. »Fahren Sie wieder mit mir?«, fragte Grellert.
    »Nein, ich nehme den 347er. Ich will die letzte Busfahrt der Toten nachvollziehen.«
    Grellert nickte. »Einmal hat ein Mädchen mit einem Jungen Schluss gemacht. Sie haben sich gestritten, und sie ist ausgestiegen. Irgendwo, wo sie nie ausgestiegen ist sonst. Der Junge hat geheult bis zur Endhaltestelle und ist dann mit mir wieder zurückgefahren.«
    »Und dann?«, fragte Pachulke.
    »Stand sie an der Haltestelle und hatte es sich anders überlegt. Es tat ihr leid. Dann sind sie aufs Oberdeck und haben geknutscht.« Er zeigte zur Haltestelle, wo eine Frau mit einem Rentnerchopper ungeduldig zu ihnen herübersah. Die hatte offenbar einen größeren Einkauf vor. Vielleicht in den Neukölln-Arcaden.
    Pachulke ging zu der Haltestelle für den 347er auf der anderen Straßenseite vor einem neuen Wohnblock.
    Vincent Sherman achtete nicht auf den Lärm im Nebenzimmer. Er wusste, dort wütete sein Sohn Victor. Oder hätte er sagen sollen, sein wütender Sohn? Natürlich hatte er das mit dem Mäusenest gewusst, es war ja nicht zu überriechen und zu überhören gewesen. Aber immer wenn er eine der alten Zeitungen in die Hand nahm und den Gebrauchtwagenteil aufschlug, las er sich fest. Wenn er ein Auto fand, das er auch im Sortiment gehabt hatte, las er sich alles durch. Und wenn das Angebot günstig war, strich er es an. Ein Schnäppchen war und blieb ein Schnäppchen, auch wenn es vor zwanzig Jahren angeboten worden war.
    Und jetzt schleppte Victor fluchend und schimpfend ein Wohnzimmer gefüllt mit Altpapier in einen Bulli draußen vor der Tür. Heute das Altpapier, jedes Fitzelchen Altpapier im ganzen Haus, morgen allen anderen Plunder, übermorgen das Mobiliar.
    Am Samstag würde Vincent bei seinem Sohn und seiner Schwiegertochter einziehen. Er war froh, dass er das alles nicht mitnehmen musste, auch wenn er es nicht übers Herz brachte, die Sachen selbst wegzuwerfen. Im Moment besah er sich die Aufzeichnungen der Sicherheitskamera. Nicht wegen der Überfälle, es war fast nie etwas passiert auf dem alten Gelände. Eine Brache an der Oranienburger Straße zwischen Tacheles und der Synagoge. Vierundzwanzig Stunden am Tag Publikumsverkehr, Straßenstrich, Polizei. Eigentlich hätte er die Kamera nicht gebraucht, aber die Versicherung wollte das so. Draußen am Spandauer Damm, wo sie hinziehen mussten, nachdem die Eigentumsverhältnisse der Brache glücklich geklärt worden waren, war in sieben Jahren häufiger eingebrochen worden als in Mitte in fünfzehn. 1992 bis 2007, ein riesiger Stapel CDs, da hatte Victor recht. Aber gerade besah Vincent sich die Überwachungs-CDs aus dem Jahr 1999. Oktober 1999, da hatte der Horch auf dem Hof gestanden, gleich neben der Bürohütte, den hatte ein Sammlerehepaar aus Leipzig gekauft. Sehr nette Leute, die alte Autos wirklich liebten und nicht bloß eine Geldanlage suchten. Sie wollten den Horch reparieren und damit Rallyes fahren. Die Kamera sprang weiter, alle zwanzig Sekunden sprang sie weiter. Da war der Kübelwagen, den er in einer Scheune hinter Słubice entdeckt hatte. Aus Wehrmachtsbeständen. Nicht ganz legal hatte er den über die Grenze gebracht. Jetzt stand er in Hollywood im Fundus und war schon bei einem halben Dutzend Nazi-Filme dabei gewesen.
    Sein Leben in Zwanzig-Sekunden-Sprüngen. Es war so schön gewesen. Er erinnerte sich an alles.

33
    An der Bushaltestelle blühten Rosen in

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