Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Immer Schön Gierig Bleiben

Immer Schön Gierig Bleiben

Titel: Immer Schön Gierig Bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Alef
Vom Netzwerk:
Meter weiter befand sich dann die eigentliche Haltestelle. Mit einem Wartehäuschen, das noch alle Scheiben hatte, und einem Fahrplan, der weder herausgerissen noch bis zur Unleserlichkeit angekokelt oder besprüht war. Grellert hatte noch zwei Minuten Pause. Obwohl er und Pachulke sich zu dieser Tour verabredet hatten, tat er so, als sei er allein mit seinem Bus. Die Pause war von allergrößter Bedeutung, selbst ein unwillkürlicher Augenkontakt mit dem wartenden Fahrgast konnte den Erholungseffekt komplett zerstören. Pachulke wartete als Einziger. Er hatte überlegt, um welche Zeit er fahren wollte. Das Publikum änderte sich mit jeder Stunde. Die Stadt änderte sich in jeder Stunde. Weil er keine Zeugenbefragungen im Sinn hatte, sondern sich auf die Route konzentrieren wollte, hatte er sich für eine Tour am Vormittag entschieden. Da war es nicht so voll. Es war 10.16 Uhr, und jetzt drehte Grellert den Schlüssel um. Mit einem leichten Husten startete der Motor.
    »Guten Morgen, Herr Grellert.« Pachulke tippte zwei Finger an die Stirn und zeigte seine Monatskarte.
    Grellert nickte ihm zu, und murmelte ebenfalls: »Guten Morgen.«
    Der Bus war Werbeträger für eine Baumarktkette, die Fenster waren mit einer riesigen Bohrmaschine, Zangen und Brettern überklebt. Pachulke setzte sich in der unteren Etage auf den Platz im hinteren Bereich, der direkt an der mittleren Tür war. So saß er etwas erhöht und konnte aus dem Fenster schauen. Es war auch nicht so laut wie ganz hinten. Nach oben wollte er nicht, für den Fall, dass er eine heiße Spur entdeckte und sofort aus dem Bus steigen musste.
    Eine Sache wollte Pachulke auf dieser Tour auch noch erledigen. Er hatte lange mit sich gerungen, aber die Krise seine häusliche Situation betreffend verlangte radikale Schritte. Er würde sich Schritt für Schritt von den weniger wichtigen Exemplaren in seiner Schallplattensammlung trennen. Mongolischer Obertongesang würde den Anfang machen. Da hatte er eine Platte doppelt. Einen Sampler mit den wichtigsten Interpreten dieses verkannten Genres. Eine Pressung stammte vom staatlichen Plattenlabel der UdSSR,
Melodija
, und genau die gleiche Platte besaß er noch einmal als Raubpressung aus der Kirgisischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Diese Gegend hatte sich seit den siebziger Jahren zu einer Hochburg für Raubpressungen entwickelt und erfreute sich deswegen bei Sammlern, genauer gesagt bei dem sehr kleinen Kreis von Liebhabern des Obertongesangs, einer gewissen Beliebtheit. Aber Pachulke war mehr der Rubinstein-Typ und bereit, die Platte diskret im Bus zurückzulassen, um seine Dielen zu retten.
    Die digitale Ansage im Bus rief den U-Bahnhof Neu-Westend aus, die letzte Silbe wurde betont. Jetzt stiegen einige Fahrgäste ein, drei Frauen zwischen vierzig und sechzig. Grellert winkte sie durch, ohne ihre Ausweise anzuschauen, es waren wohl Stammgäste.
    An der Hessenallee die Botschaft der Republik Namibia. Butter-Lindner, ein Geschäft für Eishockeyausrüstung. Noch ein Butter-Lindner. Ein Geschäft für Wohndesign, seit 1939. War das arisiert worden? Der Pralinenladen Sawade, seit 1880. Ein Hapag-Lloyd-Reisebüro. Im Schaufenster eines Juweliers stand
Wir sind spezialisiert auf Zahngold
.
    Kurz vor der Haltestelle Reichsstraße/Kastanienallee meldete sich Grellert per Lautsprecherdurchsage. »Wenn Sie mal so freundlich sein würden, die Rampe auszuklappen. An der nächsten Halte wartet eine Frau im Rollstuhl.«
    Pachulke stand auf und nutzte die Gelegenheit, die Schallplatte zwei Sitzreihen hinter sich zu legen. An der Haltestelle öffnete sich die Tür, und Pachulke klappte die Rampe auf den Bürgersteig.
    Die Frau war vielleicht vierzig und bediente ihren Rollstuhl mit großer Expertise. Sie rief ein Danke nach vorn und schenkte Pachulke ein Lächeln. »An der Blissestraße muss ich raus. Wenn Sie vielleicht wieder so freundlich wären.«
    Pachulke nickte.
    In der Grünanlage am Theodor-Heuss-Platz brannte die ewige Flamme:
Freiheit Recht Friede
. Feuer und Flamme für diesen Staat und seine Werte.
    Das Haus des Rundfunks, die Zentrale der Kassenärztlichen Vereinigung. Messegelände und ICC. Am Funkturm vorbei ging es ein kurzes Stück auf die Autobahn. Und dann war man schon am Rathenauplatz. Cadillacs in Beton. Ihr Völker der Welt, schaut euch die Kunst im öffentlichen Raum hier nicht allzu genau an. Zabriskie war immer sehr schnell angefressen, wenn jemand etwas gegen die USA sagte. Manchmal auch, wenn jemand

Weitere Kostenlose Bücher