Immer Schön Gierig Bleiben
einem Vorgarten. Pachulke sah drei Bienen. Während er wartete, fuhr Grellert vorbei und hob grüßend die Hand. Er hatte zwei Passagiere, das alte Ehepaar, das die Elstern beobachtet hatte, fuhr in die Stadt. Natürlich saßen sie Seite an Seite.
Der Bus 347 hatte nur eine Etage, dafür war es ein Gelenkbus. Pachulke setzte sich hinter das Gelenk, er wollte wieder die Passagiere beobachten. Der Bus fuhr erst die Tunnelstraße hoch, die Pachulke schon mit dem 104er gekommen war, bog dann aber ab, in die Bootsbauerstraße. Entlang der neuen, höchstens fünf Jahre alten Häuserzeilen, ging es Richtung Osten hinüber zur Stralauer Bucht, und dann wieder nach links in eine Straße, die Fischzug hieß. Hier hatte Bördensen die Hausbefragung durchgeführt. An der Haltestelle warteten Opa und Oma mit dem Enkel und einem Buggy im Schlepptau. Einsteigen, Fahrscheine lösen, nach dem Weg fragen – also auswärtige Großeltern, die den Enkel besuchten –, Enkel auf Sitz wuchten, Buggy zusammenfalten, los ging’s. An der Krachtstraße lagen prachtvoll gepflegte Gärten. Der Bus fuhr zurück zur Glasbläserallee. Das Eiscafé Bäckerei 2000, daneben Physiotherapy and Osteopathy, da gingen die Wissenschaftler aus Asien hin, wenn sie sich im Labor krumm geschuftet hatten. Auf gewundenen Wegen ging es zum Ostkreuz, der pechschwarze Wasserturm rückte näher. Ein provisorischer Zaun umschloss eine Brache, darauf ein Poster für eine Tattoo Convention. Und noch eine Hauptstraße, die so ganz anders als die in Schöneberg aussah: sehr gemischter Straßenbelag, das Kopfsteinpflaster eingesunken von den Vierzig-Tonnern aus Lwiw oder Riga, die hier durchbretterten auf der Suche nach dem nächsten Autobahnzubringer. Ein Graffito verkündete
Viva La Vulva
, dann die Haltestelle Ostkreuz. Der Eingang zur S-Bahn wirkte wie ein Nebeneingang, der Bürgersteig am Bauzaun wurde noch enger durch Dutzende angeschlossener Fahrräder. Aber das Ostkreuz hatte nur Nebeneingänge. Oma und Opa auf dem Sprung, Buggy ausklappen, aussteigen, Enkel in den Buggy setzen, und dann zur S-Bahn. Nüscht wie raus zum Müggelsee. Nächster Halt Markgrafendamm. Anders als bei Cicero Eisenzahn Albrecht und Achilles genügte hier eine schlichte Sammelbezeichnung der adligen Namensgeber. Die Haltestelle war gleich neben Lidl, daneben ein Autohaus, also
Viva La Volvo
, und dann die Persiusstraße. Wenn der im zarten Alter von zweiundvierzig Jahren verstorbene preußische Hofarchitekt Ludwig Persius die Straßenführung am Ostkreuz gesehen hätte, wäre er noch früher gestorben – vor Gram, vor Scham. Ein altes Taxiunternehmen hatte sich hier angesiedelt, die waren von Kreuzberg ein Stück weiter rausgezogen, mehr Platz für den Fuhrpark, für die Werkstatt. Eine Suzukiwerkstatt, eine Fleischerei, erst die zweite auf der ganzen Strecke.
Der Bus fuhr vor zur Spree. Haltestelle Modersohnstraße, die Hafenanlagen rechts voraus. Ein junger Mann stieg ein, setzte sich eine Reihe vor Pachulke, versenkte die Nase in einem Sprachlehrbuch und wiederholte, was ihm der Sprecher über die Kopfhörer vorsagte. Es ging die Stralauer Allee hinunter, rechts ein riesiges Lagerhaus:
Selfstorage
. Das war ja hochinteressant. Man konnte hier Sachen einlagern. Vielleicht war es vorschnell gewesen, eine seltene Platte mit mongolischen Obertongesängen einfach so preiszugeben. Von links grüßten die Bleistiftstummel der Oberbaumbrücke. Der Bus bog in die Warschauer Straße, auf der anderen Straßenseite befand sich eine Absteige für Rucksacktouristen. Und dann noch eine, und noch eine. Mehr Hostels an dieser Ecke als auf der ganzen Linie 104.
Der S- und U-Bahnhof Warschauer Straße. Nebenan wartete die Tram M10 in Richtung Prenzlauer Berg und Mitte. Eine Bierreklame:
Heiße Nächte erlebt man nie alleine
. Ichiban Karaoke seit 2007. Ein veganer Supermarkt, seit 2012. Die Revaler Straße mit dem Hauptquartier von Antigen, wo der unglückliche Torsten sein Unwesen getrieben hatte. Eine Spielhalle, 23 Stunden geöffnet, ein Kaiser’s Supermarkt, rund um die Uhr geöffnet außer am Sonntag. Die Tramlinie M13 startete hier und fuhr eine große Runde bis zum Virchowklinikum. In den sechziger Jahren hatte man alle Straßenbahnlinien im Westen stillgelegt, die Gleise rausgerissen. Die autogerechte Stadt, die selbstgerechte Verkehrspolitik. Ein Kontaktbüro für Ökostrom. Ein T-Shirt-Laden, seit letzter Woche. Rechts überkreuzten sich die Passantenströme. Bergauf Richtung S-Bahn zogen
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