Immer Schön Gierig Bleiben
portugiesischer Weißwein, wie ihm ein Blick auf das Label verriet. Wieso keine Einladung zum portugiesischen Fischessen, zur Weinprobe, zum Fandango-Abend, oder wie dieser traurige Gesang hieß. Bördensen hatte sich im Jahr 2004 die Fußball-Europameisterschaft in Portugal komplett im Fernsehen reingezogen und war von den Öffentlich-Rechtlichen auch mit der vollen Dosis landeskundlicher Hintergrundberichte bedient worden. Fisch und trauriger Gesang, das war ihm im Gedächtnis geblieben. Und die portugiesischen Luschen, die sich von Rehhagels Betonkolonne zweimal hatten aufs Kreuz legen lassen. Im Gefrierfach gab es eingefrorene Steaks und Paprika, Erbsen, Blumenkohl und Rosenkohl in großen Beuteln, in einem Hängeschrank war klare Gemüsesuppe in Dosen, Thunfisch in Wasser eingelegt und Knäckebrot verstaut. Die Tote hatte auf ihre Figur geachtet. Fado hieß diese Musik.
Bördensen ging noch einmal zu der großen Wäscheklammer und holte sich den Monatsplan des Fitnessstudios heraus. Am Montagabend wurde dort Spinning und Yoga angeboten. Und eine Yoga-CD hatte er im Regal gesehen. Er überlegte: der Pub, die Autowerkstatt, das Fitnessstudio. Drei neue Spuren, viel Tippelarbeit, aber er war nicht ganz zufrieden. Daran waren weder die kleinen grauen Zellen schuld noch der sechste Sinn, das lag an der geduldig antrainierten Routine. Er ging zurück zum Schreibtisch und hob die Schreibunterlage an. Da lag ein Foto. Eine Frau, die eine vage Ähnlichkeit mit Verena Adomeit hatte, zusammen mit drei Kindern: ein Junge, vielleicht sieben, ein dreijähriges Mädchen und ein Säugling, Bördensen vermutete ein Mädchen. Die Frau sah verschwitzt und glücklich in die Kamera, der Junge blickte von oben auf sein neues Geschwisterchen hinab und formte die Lippen zu einem Kussmund. Das Mädchen schielte zur Mutter hinüber und hielt ihre Hand. Bördensen nahm das Foto und drehte es um:
Niklas und Eva und Marei – das pralle Leben. Grüße von deiner erschöpften Schwester
. Die Unterschrift könnte
Baffime
heißen oder
Bettina
. Außerdem lagen unter der Schreibunterlage noch drei DIN-A4-Blätter, drei Briefe, in großen Lettern verfasst. In dem einen stand:
Hallo Frau Adomeit
,
wir wollen ja nicht mäkeln, aber wenn Sie weiter bei uns im Kiez makeln, werden wir ein ernstes Wörtchen mit Ihnen über die sozialen Konsequenzen Ihrer Tätigkeit reden müssen. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was es für einen Bezirk wie Friedrichshain bedeutet, wenn die Wohnungen immer teurer und die Leute immer langweiliger werden? Wir wollen kein Abenteuerpark für Bonzenkinder sein und auch nicht in einer Geisterstadt leben, in der es nur noch Ferien- und Firmenwohnungen gibt. Suchen Sie sich ganz schnell ein anderes Revier. Fallen Sie über Mariendorf oder Tempelhof her, wo es so langweilig zugeht wie in Stuttgart oder Herne, aber lassen Sie die Finger von unserem Kiez. Für uns gibt es nicht so viele Wohnungen wie für Ihre Klientel. Unser Kiez ist arm und bunt und bezahlbar, und das wird auch so bleiben. Wer will, kann am Wochenende gern zum Gaffen kommen, aber Spießer und Mittelstands-Gebärmaschinen haben bei uns nichts verloren. Wir kommen gerne auch kurzfristig und ohne Anmeldung vorbei. Völlig überraschend, wenn es gerade gar nicht passt, im falschen Moment. Also ergreifen Sie die Initiative. Hauen Sie ab!
Finger weg von Friedrichshain
Anonyme Freunde sozialer Wohnraumbewirtschaftung
Der Brief war zehn Tage alt und enthielt als einziger eine Drohung, die beiden anderen waren vier und acht Wochen älter und hatten den gleichen Tonfall, aber ein ernstes Wort oder andere Verschärfungen wurden darin nicht angekündigt. Bördensen fand den Tonfall anmaßend. Nach Friedrichshain wäre er nie im Leben gezogen, es war zu wenig grün dort. Er packte die Briefe und das Foto ein, dann verließ er die Wohnung und schloss ab.
In dem Moment, als er ins Treppenhaus trat, kam von unten eine Frau herauf. Sie hatte kurzes graues Haar und trug Jeans, T-Shirt und Birkenstock-Sandalen. In ihrem Einkaufsnetz waren Lauch, Äpfel, Zucchini und Milchtüten.
Als sie sah, dass Bördensen sich an der Tür zu schaffen machte, hob sie die Augenbrauen. »Ach was, Sie haben den Schlüsselbund gekriegt? Endlich mal ein Mann in Frau Adomeits Leben.«
Bördensen drehte sich langsam um. Die Bemerkung war freundlich gemeint, nicht als Seitenhieb. Er zeigte seine Marke. »Jens Bördensen, Kriminalpolizei. Frau Adomeit ist in der letzten Nacht
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