Immer Schön Gierig Bleiben
ermordet worden.«
Die Frau griff ans Geländer und setzte sich auf den Treppenabsatz, der in die dritte Etage führte. »Uff. Ach du meine Güte.« Sie schniefte und rieb sich mit dem T-Shirt die Nase.
Bördensen zückte ein Päckchen Taschentücher, das er für diese Zwecke immer dabeihatte. »Tut mir leid, dass ich Sie so überrumpelt habe. Frau …«
»Denzler. Renate Denzler.« Sie schnäuzte sich.
»Kannten Sie Frau Adomeit gut?«
»Gut, was heißt gut?« Sie knüllte das Taschentuch so fest zusammen, dass die Adern an ihrem Handgelenk hervortraten. »Nein, ab und zu mal einen Schwatz im Treppenhaus. Oder wir sind uns auf dem Markt begegnet. Auf dem Chamissoplatz.« Sie seufzte und murmelte: »Wer macht denn so was?«
»Das wollte ich gerade Sie fragen«, sagte Bördensen, der unschlüssig war, ob er sich neben die Frau auf die Treppenstufe setzen sollte. Blieb er stehen, fragte er von oben herab, aber obwohl Renate Denzler nicht unfreundlich war, strahlte sie sehr deutlich den Wunsch nach Abstand aus. Also blieb er stehen. »Hatte Frau Adomeit Feinde, einen eifersüchtigen Ex?«
Frau Denzler schüttelte den Kopf. »Kein Ex und schon gar nicht eifersüchtig. Frau Adomeit hat für ihre Arbeit gelebt. Deswegen hat es mich ja auch so gefreut, dass sie …« Sie kniff die Augen zusammen. »Und jetzt das.«
»Hat sie über Drohungen geklagt? War etwas anders in den letzten Tagen?«
»Drohungen?«
»Stadtteilaktivisten, die etwas gegen Makler haben, zum Beispiel.«
»Keine Ahnung.« Frau Denzler zuckte mit den Schultern. »So etwas hat sie mir nicht erzählt.«
»Mit so etwas meinen Sie Ärger?«
»Ja, vielleicht. Großen Ärger.«
»Und der kleine Ärger.«
»Ja, doch, den immer wieder. Aber sie war nicht geschwätzig, sie wirkte weder bedürftig noch einsam.«
»Was zum Beispiel?«
»Ein nerviger Klient. Manche glauben, sie können Maklern alles an den Kopf werfen. Prostituierte haben eine bessere Lobby hierzulande.« Sie sah zu Boden. »Ihr Auto war kaputt. Ist wohl noch in der Werkstatt.«
»Ein Mini Cooper.«
»Woher wissen … Ach so.« Sie lachte einmal kurz auf. »Sie stellen hier die Fragen.«
Bördensen lächelte. »Genau.«
»Ist sie hier …« Frau Denzler machte eine Bewegung mit dem Kinn in Richtung Wohnungstür Adomeit.
»Nein, auf Stralau.«
»Müggelsee?«
»Nein, Treptow.«
»Tut mir leid, ich lebe geistig immer noch im Westen.«
»Und schon länger in dem Haus?«
»Seit mehr als dreißig Jahren.«
»Und Frau Adomeit, wann ist die eingezogen?«
»Erster Erster zweitausend.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Wir sind uns am ersten Tag des Jahres gleich über den Weg gelaufen. Sie kam hier an mit Sack und Pack, die anderen haben ihr geholfen.«
»Die anderen?«
»Die anderen aus der WG. Die Wohnung war eine WG. Haben Sie das nicht gesehen? Kein Durchgangszimmer.«
»Und seit wann lebte Frau Adomeit allein?«
»Hm, ich denke, seit 2006. Sie wollte die Wohnung unbedingt für sich. Zuletzt gab es Streit mit der Mitbewohnerin. Frau Adomeit hat damals schon sehr gut verdient und wollte keine dritte Frau mehr aufnehmen, das war Frau Kesten aber zu teuer. Sie sind im Streit auseinander. Frau Kesten ist zu ihrem Freund gezogen, irgendwo nach Neukölln-Nord. Jetzt sind sie, glaube ich, in Thüringen, weil er dort Arbeit bekommen hat.«
»Wie heftig war er denn, dieser Streit?«
»Was? Sie glauben doch nicht, nein. Das war von Anfang an ein Zweckbündnis von den beiden. Als Verena herkam, hatte sie kaum Geld. Sie hat viel gejobbt, meistens als Kellnerin, und BWL studiert wie eine Berserkerin. Ines, Frau Kesten, wollte geheiratet werden. Ja, das gibt es immer noch, wie in der schlechten guten alten Zeit. Ines hatte zu wenig Ehrgeiz und konnte das Geld nicht aufbringen, um die Wohnung zu halten. Aber raus wollte sie auch nicht.«
»Wem gehört denn das Haus?«
»Einem Dr. Schlicke aus Bad Bevensen. Vorher seiner Tante. Die ist 2008 gestorben, jetzt macht er die Verwaltung. Kommt zweimal im Jahr vorbei, wohnt hier in einer Ein-Zimmer-Wohnung im Hinterhaus unterm Dach. Die einzige Wohnung, die nicht vermietet ist. Wir finden immer Zettel im Briefkasten. Bitte melden, falls hier was frei wird.«
»Von WGs?«
»Auch. Aber Schlicke will keine WGs mehr.«
»Sind Sie auch aus einer WG übrig geblieben?«
Frau Denzler nickte. »Allerdings, aber zwanzig Jahre früher als Verena.« Sie schniefte wieder.
»Wie es Frau Adomeit geschäftlich ging, wissen Sie
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