Immer Schön Gierig Bleiben
nicht?«
»Nein, sie hat nie über Geld gesprochen, obwohl es ihr sehr wichtig war. Sie war extrem ehrgeizig und fleißig.«
»Hat sie von ihrer Wohnung aus gearbeitet?«
»Nein, sie hatte ein Büro irgendwo in Wilmersdorf.«
Bördensen nestelte die Visitenkarte der Toten hervor, die ihm Löffelholz zusammen mit dem Schlüsselbund in die Hand gedrückt hatte. »Joachim-Friedrich-Straße?«
»Genau, so ein alter Fürst.« Frau Denzler nickte.
»Hat Frau Adomeit Yoga oder Spinning gemacht?«
»Woher …? Äh, ja, hat sie. Beides. Spinning am Montag und am Freitag, Yoga am Mittwoch. Da vorne« – wieder die Bewegung mit dem Kinn – »am Platz der Luftbrücke.«
Hagen Stiesel schüttelte den Kopf, als er sein Büro im Container im Hinterhof des Polizeipräsidiums betrat. Offenbar hatte er sich ausgezeichnet erholt in den letzten zwei Wochen, denn er hatte vollständig vergessen, dass es hier so schlimm aussah.
Stiesel war kein Organisationsgenie, aber Bördensen, sein Freund, Kollege und Gegenspieler, war eine verdammte alte Schlampe.
In der Zeit von Stiesels Abwesenheit hatte Bördensen jedes Stück Papier, das seinen Weg gekreuzt hatte, auf seinem Schreibtisch abgelegt, und wie ein Gletscher hatte sich der Papierberg auf Stiesels Schreibtisch geschoben.
Stiesel stellte seinen Tagesrucksack neben den Schreibtisch, setzte sich und zog wahllos ein Blatt Papier heraus. Der Kantinenspeiseplan des Vormonats. Mit einem Kaffeerand von Bördensen. Stiesel war dabei gewesen, als Bördensen die Tasse abgestellt hatte, der Monat war um, der Zettel war immer noch hier. Er holte den Papierkorb unter seinem Schreibtisch hervor. Der Korb war leer, weil Stiesel ihn vor seiner Abreise mit einer Supermarkttüte abgeklebt hatte. Das war eine Abmachung, die sich bewährt hatte. Bördensen zur Ordnung zu erziehen, war hoffnungslos, aber er ließ den Papierkorb in Ruhe, damit Stiesel an seinem ersten Arbeitstag Platz schaffen konnte.
Einen Stapel leerer Hängeordner legte Stiesel auf den Boden. Die diversen Zeitungsseiten mit Sportberichterstattung, die er darunter fand, warf er weg. Einen Umschlag mit Bördensens Gehaltsabrechnung für März legte er links vorn in die Ecke seines Schreibtischs: Das wurde der Stapel mit Sachen, die Bördensen auf seinem Schreibtisch vorfinden würde, wenn er wieder einmal hier auftauchte. Er machte sich rar, der Kollege, seit er zweifacher Vater war.
Stiesel lebte mit seiner Mutter zusammen. Nicht er bei ihr, sondern sie bei ihm, seit Stiesels Vater sehr früh und sehr überraschend mit vierundfünfzig Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war. Seitdem hatte die Mutter Angstzustände, wenn sie nachts allein in der Wohnung war.
Ich brauche dieses Gefühl, dass die Tür klappert, und ein Mann nach Hause kommt
, sagte sie. Also hatte Stiesel das kleine Genossenschaftshaus an der Bahnstrecke nach Erkner, das er angemietet hatte, umgeräumt, den Keller und das Dach ausgebaut, und seine Mutter war aus Hamburg zu ihm nach Köpenick gezogen. Erst mal provisorisch, hatten sie beide gesagt, aber eigentlich passte es perfekt.
Manchmal, wenn Leute hörten, dass er mit seiner Mutter lebte, fiel im Kollegenkreis das böse Wort vom Muttersöhnchen. Diese Spitze bot sich auch deshalb an, weil Stiesel aussah wie fünfzehn. Er hatte milchweiße Haut (zu beachten beim Urlaubsziel) und feuerrote Haare (anstrengend auf den Schulhöfen seines Lebens). Wenn Stiesel in den Urlaub fuhr, besuchte die Mutter eine von Stiesels vier Schwestern, die alle in irgendwelchen kleinen Städten wohnten. Als Hauptwohnsitz hatte die Mutter der Großstadt den Vorzug gegeben, aber sie wollte natürlich ihre Enkel regelmäßig sehen.
Stiesel entdeckte eine Bodenwelle unter einem Werbeprospekt für Polizeikleidung, richtig, das war ein Stift. Ein ausgetrockneter Boardmarker, schwarz. Aber wo war die Kappe?
Bevor er zwei Wochen nach Norwegen gefahren war, hatte Stiesel in weiser Voraussicht Locher, Hefter, Kugelschreiber und die selbstklebenden Memozettel in die unterste Schublade evakuiert, aus der er sie jetzt hervorholte.
Die Memozettel hatten das Format DIN A7, waren eierschalenfarben, und oben, dort wo auf der Rückseite der Klebestreifen war, stand
Niemals vergessen
, zusammen mit dem schnittigen Logo von Eisern Union.
Stiesel spielte keinen Fußball, Stiesel ruderte. Aber er ging ins Stadion in Köpenick, sooft er konnte. Ein optimaler freier Tag bestand darin, am Freitag, Samstag, Sonntag oder Montag, je nachdem, wann das
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