Immer verlasse ich dich
eine
bestimmte Haltung ein.« Sie lacht, dann hält sie sich rasch den Mund zu, als
hätte sie etwas Unpassendes gemacht.
»Wie bitte?«
»Ich sollte nicht so tratschen.«
»Nein, bitte. Ich möchte es gern
wissen.«
»Na ja, Jane, das ist meine Freundin,
und ich haben einen kleinen ständigen Witz über Blythe. Wir sagen: ›Blythe hat
eine Wahnsinnshaltung.‹«
Ich bringe ein mattes Lächeln zustande.
»Sonst noch etwas?«
»Zum Teufel, was weiß ich schon über
Kinder?« Doch das bremst sie keineswegs. »Es ist doch so — nicht, daß Meg es
mir gesagt hätte, aber ich hatte den Eindruck, als sei Blythe nur
vorbeigekommen, wenn sie etwas brauchte.«
»Das heißt nicht automatisch, daß sie
sie nicht liebte.« Ich erinnere mich an Blythes Äußerung von gestern nacht.
»Mütter und Töchter haben ihre Probleme. Erinnern Sie sich, wie Sie zu Ihrer
Mutter standen, als Sie in Blythes Alter waren?«
»Nein«, sagt sie knapp. »Meine hat mich
abgeschoben, als ich acht Monate alt war. Habe keine Ahnung, wer sie war, ist
mir auch egal.« Arlene sieht zornig aus, und mir ist klar, daß es ihr überhaupt
nicht egal ist.
»Tut mir leid.«
»Was denn?«
»Daß Ihre Mutter gegangen ist...«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, es ist mir
egal«, sagt sie gereizt.
»Schön. Tja, bis später dann.«
»Bis zur Beerdigung«, sagt sie, als
rede sie von einer Party. Ich beobachte sie, beneide sie um ihre langen Beine,
als sie schnell zu ihrem Laden zurückgeht.
Ich werfe einen letzten Blick auf das Bild
vor Megans Geschäft. Die Tränen würgen mich im Hals, doch dann werde ich von
meinem Spiegelbild in ihrem Schaufenster abgelenkt. Ja, wirklich ganz schön
klein, denke ich, als könnte ich irgendwie gewachsen sein. Ich habe
dunkelbraunes Haar, das ich schulterlang trage, und in diesem Licht kann ich
sehen, daß es jetzt schnell grau wird. Ich sehe aus wie mein Vater: klassische
italienische Nase, hohe Wangenknochen. Doch das Beste ist — und es macht Kip
und meine Freundinnen ganz rasend — , daß ich nicht auf mein Gewicht zu achten
brauche. Wer weiß schon warum, aber ich kann essen, was ich will, während alle
anderen Diät halten müssen. Allerdings habe ich jetzt dieses
Cholesterin-Problem und muß teils im geheimen essen, so als hätte ich
Eßstörungen.
An der Ecke Greenwich und Sixth
überquere ich die Straße. Das Dalton’s ist aufgemotzt worden und gibt sich
jetzt als Superladen. Das bedeutet, daß man dort bekommt, was das Herz begehrt.
Doch was der einen Frau alles ist, bedeutet der anderen gar nichts. Außerdem
stehe ich treu zu Three Lives. Ich gehe Richtung Downtown. Die Hausierer sind
noch nicht bei der Arbeit, doch ihre Tische, die sie neuerdings allem Anschein
nach auch als Bett benutzen, sind bereits aufgebaut. Ich komme an zwei Männern
vorbei, die jeweils auf ihrem Tisch liegen, einer schnarcht, der andere
sabbert. Auf dem Vorplatz rund um den zurückgesetzten Eingang zur U-Bahn haben
Obdachlose Liegestühle aus Plastik aufgestellt, so daß der Platz einem absurden
Strand ähnelt. So sollte es nicht sein. Wenn ich es weiß, warum weiß George
Bush es nicht? Als ich an Blockbuster Video vorbeikomme, werfe ich einen Blick
in die Schaufenster. Die ganz heißen Videos sind nach wie vor Der mit dem
Wolf tanzt und Der Feind in meinem Bett. Der zweite Film, wie ich
weiß, wegen der inkompetenten, überbezahlten Julia Roberts, die meiner
Überzeugung nach in Wahrheit Eric in Frauenkleidern ist. Haben Sie die beiden
schon einmal zusammen gesehen? Denken Sie darüber nach. Während ich an der West
Fourth Street darauf warte, daß die Ampel umspringt, schaue ich über die Avenue
und weiter zum Wavery Twin-Kino hinunter. Mein alter Zuckerpfad ist
verschwunden. Nur Mrs. Field’s Cookies ist noch da. Verschwunden sind David’s,
Ben & Jerry’s, selbst das Burger King, wenn es auch nichts mit Zucker
zu tun hatte. An der Ecke, wo Fourth, Sixth und Cornelia Street
aufeinandertreffen, gibt es ein neues Eis- und Sandwich-Lokal. Ihm fehlt der
nötige Pep, ich gebe ihm ganze zwei Monate.
Obgleich es noch nicht zehn ist, ist
auf dem Platz an der Third Street ein Basketballspiel im Gange. Ich bleibe
stehen, um zuzuschauen. Es geht zur Sache. Diese Typen spielen richtig auf. Die
meisten sind Afroamerikaner, nur zwei von den zehn sind es nicht. Ich entdecke
einen, den ich kenne: Fortune Fanelli. Fanelli ist auch Privatdetektiv. Ich
frage mich, wann er wohl aufhören wird, mit diesen Männern zu spielen.
Allmählich
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