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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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weiß, aber die Polizei wird schon
damit fertig.«
    »Sie kennen Megan nicht so wie ich.
Ihnen bedeutet es nichts.«
    »Cecchi bedeutet es etwas.«
    »Ich muß mithelfen.«
    Sie streicht mir das Haar aus der
Stirn, streichelt meine Wange. »Liebling, ich sage ja nicht, daß du nicht
mithelfen sollst, Cecchi alles erzählen sollst, was du weißt. Ich mache mir nur
Sorgen, daß du es im Alleingang schaffen willst.«
    Ich bete, daß ich ihr nichts
versprechen muß.
    »Ich werde mit Cecchi zusammenarbeiten«,
sage ich, was der Wahrheit entspricht.
    »Gut.«
    Mein Ausweichmanöver hat funktioniert.
»Was steht heute auf deinem Programm?«
    »Patienten aus der Hölle«, sagt sie.
»Needy Ned, Bigmouth Michelle, Tortured Tomato. Und das ist lediglich das
Programm von heute morgen.«
    Kip und ich benutzen Codenamen für
unsere jeweiligen Klienten. Die drei, die sie genannt hat, gehören zu den Schlimmsten.
Tortured Tomato zum Beispiel ist eine Frau in den Vierzigern, deren Ehemann sie
stets als »heiße Tomate« bezeichnet. Sie findet das unerträglich, aber nach
drei Jahren Therapie ist sie immer noch nicht imstande, es ihm zu sagen. So
kann’s gehen in Kips Beruf. Nicht bei allen Patienten natürlich. Einige sind
schlichte Neurotiker. Kips Spezialität ist Hypnose, aber diese Methode ist
nicht immer das geeignete Mittel, und auch nicht jeder Klient will es.
    »Meinst du, wir sollten die Party
absagen?« fragt Kip.
    »Die Party?«
    »Die Party zu unserem zwölften Jahrestag.
Ich dachte, du bist vielleicht nicht in Stimmung unter diesen Umständen.«
    Es ist eine Dinnerparty für lesbische
Paare, die seit über fünf Jahren zusammen sind. Meg wäre ohnehin nicht
dabeigewesen. »Bis dahin sind es noch Wochen«, sage ich, als sei damit alles
geklärt.
    »Na schön. Wir können sie ja auch
später noch absagen.«
    »Das hätte sie nicht gewollt.«
    »Da hast du recht, das hätte sie
nicht.«
    Uns beiden kommen wieder die Tränen,
aber wir schlucken sie hinunter.
    Eine Spur zu munter fragt Kip mich:
»Und dein Programm für heute?«
    »Ich muß Blythe dabei helfen, die
Vorkehrungen für die Beerdigung zu treffen, und dann... ich weiß noch nicht.«
    »Oh, bitte laß die Finger von diesem
Fall, Lauren. Genau das habe ich befürchtet.«
    »Du brauchst keine Angst zu haben.«
    »Na schön«, sagt sie sarkastisch, »gut,
daß das damit erledigt wäre.«
    Ich versuche sie zu besänftigen, doch
meine Argumente greifen nicht. Als ich aus dem Haus gehe, sprechen wir zwar
noch miteinander, aber die Stimmung ist unverkennbar angespannt.
    Ich soll mich um zehn mit Blythe im
Lorenzo Funeral Home auf der Bleecker treffen. Es ist fünf vor halb zehn, und
schon jetzt ist es heiß und schwül. Im Radio hieß es, die Temperaturen werden
wieder über dreißig Grad klettern. Und wenn schon. Ob frisch und klar oder
sonnig und heiß, Megan ist so oder so tot. Rums. Ich will das gar nicht tun.
Ich möchte in einem dunklen Kino sitzen; mit meinem Modem und dem Computer
Bretter anwählen; Zeitschriften lesen.
    Auf der Seventh Avenue kommt ein junger
Mann auf mich zu. Er trägt eine hellblaue Spandexhose, die an seinen Knien
endet, und ein Spandextop in Violett, Gelb und Pink. Seine Füße stecken in
riesigen, hohen schwarzen Turnschuhen. Sein gelbes Haar, die Farbe von
Eidottern, ist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er hält eine
Mets-Baseballmütze am Schirm.
    »Entschuldigen Sie«, sagt er, als ich
mit ihm auf einer Höhe bin.
    Ich darf ihn nicht nach seiner
Aufmachung beurteilen. Wird er sich als Irrer entpuppen oder als jemand mit
einer einfachen Frage, z.B. nach der Uhrzeit oder der nächsten Post?
Begegnungen mit Fremden führen in New York City häufig zu solchen Überlegungen.
»Ja?« frage ich hoffnungsvoll.
    Der Mann, mit Augen so braun wie
gehackte Mandeln , wirkt fast erschrocken, weil ich angehalten habe. Dann
lächelt er dankbar, und noch ehe er die Mundwinkel ganz hoch gezogen hat, weiß
ich, daß ich einen großen Fehler begangen habe.
    »Ich muß wissen«, sagt er mit heiserer
Stimme, »ob die Mets in diesem Jahr den Tony bekommen werden.«
    »Den Tony?«
    »Oder auch den Oscar.« Er setzt sich
die Mütze rückwärts auf.
    »Den Oscar?« Ich bin kein großer
Sportfan — in unserem Haushalt gebührt Kip dieser Ehrentitel; sie sieht sich
alles an, bis auf Basketball und Hockey (ich habe sie sogar schon mal dabei
überrascht, wie sie sich Golf ansah), und die Mets sind ihre Mannschaft.
Aber selbst ich weiß, daß der Tony und

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