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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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wird er etwas zu alt, um bei dem Tempo mitzuhalten. Frauen spielen
natürlich niemals hier. Kip hat sich einmal erkundigt, ob sie mitmachen dürfe,
und das Gelächter, mit dem ihre Frage quittiert wurde, konnte man bis zur
Fourteenth Street hören.
    Ich schinde Zeit, und das weiß ich.
Wenn ich auch wirklich kein Sportfan bin, ich betrachte gern die Zuschauer, die
den Metallzaun säumen und sich die Lunge aus dem Leib brüllen, als hinge ihr
Leben von dem Ergebnis ab. Ich zwinge mich weiterzugehen, weil ich weiß, daß
ich es heute als Vorwand benutze, mich um die Auseinandersetzung mit dem Tod zu
drücken.

 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     Das Lorenzo Funeral Home befindet sich seit fünfundsechzig
Jahren an dieser Stelle. Was kann ich darüber sagen? Bis auf einige VIP-Fotos
mit Autogramm sieht es aus wie jedes andere Bestattungsinstitut. Ich frage mich
unwillkürlich, wann und unter welchen Umständen diese Leute Lorenzo wohl ihre
Autogrammfotos gegeben haben.
    Ein fleischiger Mann in dunkelgrauem
Anzug kommt auf mich zu. Das schwarze Haar liegt ihm schlaff auf dem Schädel,
und sein Gesicht sieht aus wie die letzte Seite der Daily Nexus.
    »Ich bin Fabio Lorenzo, womit kann ich
Ihnen behilflich sein?« fragt er mit einer hohen, flötenden Stimme, die nicht
zu seiner äußeren Erscheinung paßt.
    »Ich soll mich hier mit jemandem
treffen... zur Auswahl des...«
    »Des Behältnisses«, springt er ein.
    Niemand nennt die Dinge mehr beim
Namen. Kampfeinsätze werden zu Missionen, Behinderte sind körperlich
beeinträchtigt, Haustiere sind Gefährten. Und jetzt ist ein Sarg ein
gottverdammtes Behältnis. Es ist, als solle durch eine keimfreie Sprache
der Realitätsschock gelindert werden. Es funktioniert nicht. Trotzdem nicke ich
zustimmend.
    »Hätten Sie gern etwas Kaffee, während
Sie warten?«!
    »Nein danke.«
    »Ein Schokoladenplätzchen?«
    Oh-oh. »Ein Schokoladenplätzchen?« sage
ich, als hätte ich das Wort nie zuvor gehört.
    »Meine Frau hat sie gebacken.«
    Selbstgebackene Schokoplätzchen. Vor dem Mittagessen versuche ich,
keine Schokolade zu essen, wie ein Alkoholiker, der nicht vor fünf Uhr trinkt.
Und es hat ja auch wirklich etwas Ekelhaftes, um fünf nach zehn Uhr morgens ein
Schokoplätzchen zu essen. »Wenn Ihre Frau sie gemacht hat, kann ich ja kaum
ablehnen«, sage ich.
    Er lacht leise und zeigt tabakfleckige
Zähne, die angelaufenen Fliesen ähneln. Der Teller mit den Schokoplätzchen
steht auf einem Mahagonitisch. Sie sind dick mit Mokkazuckerguß überzogen.
Lorenzo hält mir den Teller hin. In dem Sekundenbruchteil, den ich zur Verfügung
habe, halte ich nach einem kleinen Plätzchen Ausschau, ganz ehrlich, kann
jedoch keines entdecken, deshalb befolge ich die Verhaltensmaßregel, die meine
Mutter mich gelehrt hat, und nehme das: nächstliegende, das sich
erstaunlicherweise als das größte entpuppt. Ist ja nicht meine Schuld!
    Lorenzo reicht mir eine kleine weiße
Papierserviette. »Sind Sie mit dem Verstorbenen verwandt?«
    Mein Mund ist voll. Schuldbewußtsein
packt mich bei der Kehle, und ich muß fast würgen. Dumm. Weil Meg tot ist, soll
ich kein Schokoplätzchen essen?
    »Ich bin ihre... ich war ihre älteste
Freundin. Wir kannten einander, seit wir sechs waren.«
    »Aha«, sagt er, nickt und schließt kurz
die Augen, als gäbe er dadurch unserer Beziehung seine Zustimmung.
    »Darf ich fragen, woran die
Dahingeschiedene verstorben ist?«
    Ich bin verwundert über die Frage.
Blythe hat gesagt, sie werde die Firma anrufen und den Termin ausmachen. Ich
hatte angenommen, sie hätte alles geklärt. »Hat ihre Tochter es Ihnen nicht
gesagt?«
    »Die Tochter?«
    Ich schiebe mir den Rest des
Schokoplätzchens in den Mund, kaue, schlucke, wische mir den Mund ab. »Haben
Sie uns nicht erwartet?«
    »Nein.«
    »Ich dachte, sie hätte einen Termin für
zehn Uhr ausgemacht. Sie sagte, sie wollte mich anrufen, falls es nicht klappen
sollte. Und sie hat sich nicht gemeldet, daher hatte ich angenommen...«
    »Tut mir leid, aber es hat niemand
angerufen, um einen Termin für zehn Uhr auszumachen. Allerdings habe ich für
elf Uhr einen.«
    »Unter welchem Namen?«
    Lorenzo dreht sich zu seinem
Schreibtisch um, schlägt ein grünes, in Leder gebundenes Buch auf, fährt mit
dem Finger oben über eine Seite. »Cross, Aleen. Das ist die Verstorbene. Den
Termin habe ich mit ihrem Ehemann, James.«
    »Nein. Der Name ist Harbaugh. Der
Verstorbenen. Die Tochter heißt Blythe Benning.«
    Er schüttelt

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