Immer verlasse ich dich
ausgeschlagen mit Synthetik bis Satin. Der Preis
auf dem nächststehenden Modell ist astronomisch hoch. Plötzlich wird mir klar:
Obgleich im Laufe der letzten fünf Jahre viele meiner Freunde an Aids und
anderen Krankheiten gestorben sind, war ich nie diejenige, die diese Prozedur
absolvieren mußte. Dies ist meine erste Erfahrung im Umgang mit einem
Bestattungsinstitut, einem Leichenbestatter, Behältnissen. Es gefällt mir
nicht.
Lorenzo hält mir eine einstudierte Rede
zu jedem Modell, beginnt mit dem preiswertesten, das er geradezu verächtlich
beschreibt, und schließt in einem Crescendo mit dem stählernen,
satingefütterten Exemplar mit dem fünfstelligen Preis. Läge die Entscheidung
bei mir, würde ich den billigsten Sarg erstehen, weil ich es nicht leiden kann,
manipuliert zu werden, und was hat es auch schon zu bedeuten? Aber die Entscheidung
liegt nicht bei mir.
Als ich Lorenzo ansehe, lächelt er,
eidechsengleich.
»Ich kann nicht«, sage ich. »Ich kann
einfach nicht.« Ich haste durch die Tür ins Foyer. »Ich komme später wieder«,
rufe ich über die Schulter zurück und schiebe die schwere Glastür zur Straße
auf. Die Luft von New York City hat noch nie so gut gerochen.
Auf dem Weg zu meinem Treffen mit
Cecchi mache ich einen Abstecher zu Blythes Wohnung. Ich läute Sturm, aber
niemand antwortet. Ich fühle mich komisch, als sollte ich irgend etwas erledigen,
das ich vergessen habe. Als ich schon wieder gehen will, öffnet sich die
Haustür und ein Mann in grauer Joggingkluft kommt heraus.
Er ist vermutlich um die Vierzig, auf
konventionelle Art gutaussehend. Sein braunes Haar ist schütter, er trägt es streng
zurückgekämmt, damit es nicht so auffällt. Um den Hals hängen ihm zwei
Schlüssel an einer Schnur. Da er keine Taschen hat, nehme ich an, daß sie zu
seiner Wohnung gehören.
»Brauchen Sie Hilfe?« fragt er, und es
klingt eher, als wolle er mich abschrecken, nicht seine Hilfe anbieten.
»Ich wollte zu Blythe Benning. Sie ist
wohl nicht zu Hause.«
Er zuckt mit den Schultern und geht die
Stufen hinunter.
»Entschuldigen Sie«, sage ich.
»Ja?« Auffallend große braune Augen
mustern mich.
Ich fühle mich unwohl. »Wohnen Sie
hier?«
»Warum?«
»Ich möchte es nur wissen.«
Er grinst, verzieht die vollen Lippen
nach rechts, es wird ein ganz schiefes Lächeln. »Ich habe auch nicht
angenommen, daß Sie mich fragen, weil Sie es nicht wissen wollen.«
»Richtig«, sage ich und komme mir
gemaßregelt vor. »Kennen Sie Blythe?«
»Klar. Dies ist ein relativ kleines
Haus.« Er kommt auf mich zu, stützt einen Fuß auf die unterste Stufe, als
stünde er an einer Bar. »Wer sind Sie?«
Ich sage es ihm und frage nach seinem
Namen.
»Jason Lightbourne«, antwortet er.
»Worum geht es?«
Ich greife in meine Handtasche, hole
meine Brieftasche heraus, schlage meine Lizenz als Privatdetektivin auf und
halte sie ihm hin.
Er beugt sich vor, sieht hin, dann
lacht er. »Das soll wohl ein Witz sein.«
»Wieso?«
»Zum einen sind Sie so winzig.« Jetzt
lacht er mir offen ins Gesicht. Es gibt praktisch nichts, was mich mehr erfreut
als ein herzhaftes Lachen auf meine Kosten, besonders wenn es mit meiner Größe
zu tun hat. Mein erster Impuls ist, meine Judokünste an ihm zu erproben, ihn
über meine Schulter zu werfen wie einen Sack Kartoffeln. Aber ich weiß, daß ich
das nicht machen kann, nur weil der Mann lacht.
»Meine Größe hat damit nichts zu tun«,
sage ich so ruhig wie möglich. Er muß sehen, daß meine Augen meinen Tonfall
Lügen strafen.
»Regen Sie sich wieder ab, ja?«
»Mr. Ligtbourne, gestern abend wurde
Blythes Mutter ermordet, und heute sollte ich Blythe um zehn im
Bestattungsinstitut treffen. Sie ist nicht aufgetaucht.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
Ich würde lachen, wenn es nicht so
erbärmlich wäre, so entmutigend, was die menschliche Natur betrifft. Das
Ich-Jahrzehnt soll angeblich vorbei sein, aber es wird nie vorbei sein. War es
schon immer so und wir wußten es nur nicht, weil es keine Oprahs, Donahues,
Geraldos gab? Hat Betsy Ross zum Beispiel die Fahne in Wahrheit um ihres
eigenen Ruhmes willen gemacht? Sorgte Ben Franklin sich um sein Image?
»Mr. Lightbourne, es hat nichts mit
Ihnen zu tun«, sage ich müde.
»Genau.«
»Macht es Ihnen denn gar nichts aus,
daß Blythes Mutter ermordet wurde?«
»Na, sicher macht es mir etwas aus«,
sagt er und erwidert finster meinen Blick. »Ich kannte die Lady kaum, ja? Habe
sie vielleicht... drei-,
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