Immer verlasse ich dich
den Kopf, und plötzlich
gleicht sein Haar einem Dachsschwanz. »Niemand mit diesem Namen hat mich
angerufen.«
»Ist hier sonstjemand, mit dem sie
gesprochen haben könnte?«
Lorenzo schenkt mir ein überlegenes
Lächeln. »Wenn jemand anders den Anruf entgegengenommen hätte, wußte ich
Bescheid. Es gäbe eine Eintragung. Wir führen hier kein schluderiges Geschäft,
Miss...«
»Laurano.«
»Aha«, sagt er wieder und zollt meinem
italienischen Namen Respekt, als mache der uns irgendwie zu allerbesten
Freunden. »Miss Laurano, wir haben die Dinge hier im Griff. Andernfalls...« Er
zuckt die Schultern, verdreht die Augen und streckt die Handflächen nach oben,
was vermutlich Chaos bedeuten soll.
Ich stelle mir kurz vor, wie Hunderte
von Leuten um den selben Termin kämpfen, wie sie sich um die Behältnisse schlagen und Leichen über den Fußboden rollen. Ich möchte lachen, statt dessen
sage ich: »Ja, das kann ich verstehen.« Ich beiße mir in die Oberlippe, weil
ich die Lachlust, die Lust, ganz loszulassen, kaum bezähmen kann.
»Deshalb ist es unmöglich, daß die
Benning angerufen hat«, versichert er.
Da ist es schon wieder. Die Benning.
Würde er auch sagen »der Benning«, wenn es um Sasha ginge? O nein. Ich habe nie
gehört, daß jemand »der Rose« für Pete oder »der Gotti« für John gesagt hätte.
Ginge es hingegen um Sally Rose und Jean Gotti, würde man sie garantiert »die
Rose« und »die Gotti« nennen. Warum ist das so? Wie hat es angefangen? In
dieser Ausdrucksweise liegt Verachtung, es ist zweifelsohne abwertend gemeint.
Also ›die Benning‹ hat nicht angerufen.
»Darf ich Ihr Telefon benutzen?«
»Gewiß.«
Ich hole den Zettel aus meiner
Handtasche, wobei ich darauf achte, daß Lorenzo meine Smith & Wesson
38er nicht sieht, und tippe Blythes Nummer ein. Beim vierten Läuten schaltet
sich der Anrufbeantworter ein. Es ist eine ärgerliche Ansage, eine von der
Sorte mit einer Fanfare aus Rockmusik, dann Blythe, die uns, nachdem sie den
üblichen Spruch aufgesagt hat, Anweisungen gibt, wie wir den Tag zu verbringen
haben, und zum Schluß wieder Musik. Sechsundzwanzig Stunden später höre ich den
Piepton und hinterlasse meine Nachricht. Ich bitte sie, sich hier, in meinem
Büro oder zu Hause bei mir zu melden.
Als ich den Hörer auflege, frage ich
mich, weshalb Blythe nicht angerufen hat, nicht hier aufgetaucht ist.
Und ich frage mich auch, was ich tun soll. Steht es mir zu, den Sarg auszusuchen?
Megans Leichnam wird sowieso erst in einigen Tagen von der Polizei freigegeben.
»Ich glaube, ich komme später noch mal
wieder«, sage ich.
»Wünschen Sie eine Voranmeldung?«
»Eine Voranmeldung?«
Er seufzt. »Wir sind hier sehr
beschäftigt, Miss Laurano. Sie sollten einen Termin ausmachen, wann die
Totenwache stattfinden soll.«
Totenwache. Würde Meg eine Totenwache wollen? Und
weshalb wird es Totenwache genannt... die Person ist alles andere als wach. Ich
komme mir verloren vor, klein, es übersteigt meine Kräfte Ich brauche Kips
Hilfe oder... die von Megan. Hätte ich die Vorkehrungen für die Beerdigung von
jemand anderem getroffen und Kip hätte mich nicht begleiten können, dann hätte
Meg es getan. Es ist, als wäre ein Teil von mir abgestorben... eine Hand oder
ein Bein... mein Herz. Tränen drängen sich in meine Augen. Ich will nicht, daß
Lorenzo es sieht, weil ich weiß, daß er an Anzeichen des Kummers gewöhnt ist
und meine Trauer bedeutungslos für ihn sein wird, was irgendwie auch Megans Tod
bedeutungslos macht.
Natürlich ist ihr Tod tatsächlich
bedeutungslos. Ihr Leben hatte Bedeutung. Ich muß damit aufhören.
»Ich weiß nicht recht, ob ich ohne ein
Mitglied der Familie etwas vereinbaren sollte.«
»Völlig unverbindlich«, schlägt er vor.
»Das könnte ich wohl machen. In
Ordnung, wie wär’s mit Montag?«
»Und warum nicht auch unverbindlich ein
Behältnis aussuchen, wo Sie schon mal hier sind?«
»Nein, lieber nicht.« Ich habe keine
Ahnung, was die Kinder ausgeben möchten, was Meg gern gehabt hätte, obwohl ich
dazu meine Vermutungen habe.
»Da Sie schon mal hier sind«,
wiederholt Lorenzo. Ich frage mich, warum er so eindringlich ist, da das
Geschäft offenbar blüht. Er deutet auf eine zurückgesetzte Walnußtür.
Ich folge ihm lammfromm, als hätte ich
keinen eigenen Willen. In dem cremefarben gestrichenen Raum herrscht gedämpfte
Beleuchtung. Die Behältnisse sind in mehreren Reihen aufgestellt, die Palette
reicht von Holz bis Metall,
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