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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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ihrem
Sarg nackt ist oder nicht? Hauptantwort: Es ändert nichts für sie. Also, warum
ziehen wir unsere Leichen dann an? Weil wir nicht wirklich glauben, daß sie es
nicht wissen. Oder wir glauben, daß sie es noch spüren können. Als ich mir Meg
nackt in dem Sarg vorstellte, kam mir der Gedanke, sie würde frieren. Es ist so
albern, daß ich fast laut loslache, aber dazu bin ich zu niedergeschlagen.
Niedergeschlagen wegen Meg. Niedergeschlagen um meinetwillen. Niedergeschlagen,
weil wir sterben müssen.
    Ich reiße mich zusammen und führe die
anderen notwendigen Telefonate: Leichenschauhaus, Friedhof, Steinmetz. Als ich
acht Jahre später damit fertig bin, schaue ich auf meine Uhr und stelle fest,
daß es Zeit fürs Mittagessen ist. Ich beschließe, nach Hause zu gehen und mit
Kip zusammen zu essen. Ich brauche ihren Trost, um den nächsten Schritt
durchzustehen... in Megs Wohnung zu gehen und die Kleidung auszusuchen, in der
man sie begraben wird.

 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     Als Kip in die Küche kommt, wo ich am Tisch sitze und eine
Diätcola mit Kirschgeschmack trinke, macht sie ein sonderbares Gesicht.
    Eigentlich macht sie weniger ein
sonderbares als ein entsetztes Gesicht.
    »Was ist?« frage ich. »Was ist los?«
Ich will schon aufstehen.
    Sie streckt eine Hand aus, um mich
davon abzuhalten. »Ich kann’s nicht fassen.« In ihrer Stimme liegt ein Ernst,
der mir angst macht.
    »Was faßt du nicht?« Noch ein
Todesfall?
    »Ich habe ein graues Haar entdeckt«,
sagt sie dramatisch.
    Ist sie verrückt geworden? Sie wird
schon seit ihrem fünfunddreißigsten Lebensjahr allmählich grau.
    »Du hast Hunderte von grauen Haaren«,
sage ich verwirrt.
    »Oh, Lauren, manchmal frage ich mich,
warum du ausgerechnet Detektivin geworden bist.« Sie zieht einen Stuhl zurück,
setzt sich hin, stützt die Ellbogen auf und hält ihren Kopf, als wiege er
zweihundert Pfund.
    »Was soll denn das heißen?«
    »Warum zum Teufel hast du es mir nicht
gesagt?«
    Ich werde ärgerlich. »Dir was gesagt?«
    »Das mit dem grauen Haar.«
    »Kip, du hast...« Oh. Jetzt geht mir
auf, wovon sie redet, und ich kann mir ein Kichern nicht verkneifen.
    Sie schreckt auf. »Du findest das
lustig?«
    Ich zucke mit den Schultern.
    »Du hast es gesehen, nicht wahr?«
    Ich glaube, hier kann ich in keinem
Fall gewinnen: schuldig, wenn ja, weil ich es nicht erwähnt habe; schuldig,
wenn nein, weil ich unaufmerksam war. Ich entscheide mich für die Wahrheit.
»Ja, ich muß gestehen, ich habe es gesehen«, sage ich und heuchle Ernst.
    Sie starrt mich an, als hätte sie eine
aus dem Irrenhaus Entsprungene vor sich. »Und du hast es mir nicht gesagt?«
    »Nein. Wie du sehr gut weißt, habe ich
es dir nicht gesagt.«
    »Wieso nicht?«
    Wieso nicht? »Aus vielen Gründen«, sage ich lahm.
    »Zum Beispiel?«
    »Na ja, als ich es zum erstenmal sah,
war es nicht der richtige Zeitpunkt, um es zu erwähnen... ich meine, es war ein
unpassender Augenblick. «Ich lächle anzüglich, bekomme jedoch keine Reaktion.
    »Und dann?«
    »Dann habe ich... nun, die Wahrheit
ist, ich hab’s vergessen, bis ich es das nächstemal sah, da war aber wieder
nicht der richtige Moment, um es zu erwähnen.«
    »Ich kann’s nicht glauben.« Sie steht
auf und geht zum Kühlschrank, holt ihr spezielles Brot ohne Hefe von Balducci’s
heraus, knallt es auf das Schneidebrett und greift nach dem Brotmesser.
    »Du kannst nicht glauben, daß es
unpassend war, oder daß ich es vergessen habe?« frage ich ihren steifen Rücken.
    Prannnk, prannnk geht das Messer, als sie zwei Scheiben
abschneidet.
    »Ich kann beides nicht glauben.«
    »Was sollte ich denn tun, während ich
dich liebte, aufhören und sagen, ›Miss, entschuldigen Sie, Miss, aber Sie haben
da ein graues Schamhaar!‹?«
    Sie steht reglos da, fast so, als atme
sie nicht einmal, und dann, ganz langsam, dreht sie sich zu mir um. »Wieso
solltest du mich Miss nennen?«
    Wir müssen beide lachen.
    Ich stehe auf und nehme sie in die
Arme.
    »Ich kann nicht fassen, daß es soweit
ist«, sagt sie. »Warum hast du keine? Schließlich bist du zwei Jahre älter als
ich.«
    »Ich weiß es auch nicht. Bestimmt
kriege ich auch noch welche... eines Tages. Ich nehme an, du hast die
Veranlagung dazu von deiner Mutter geerbt.«
    »Und deine Mutter?«
    Es war furchtbar, total unpassend, aber
ich weiß die Antwort, weil meine Mutter sich vor mir auszog, bis ich von
zu Hause wegging, und darauf bestand, mir zu erzählen, daß mein

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