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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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krank und
seiner nicht würdig.
    Himmel, ich bin selbstgerecht. Ich
schaue auf meine Schokoladentorte. Ich sollte so etwas eigentlich nicht essen,
wegen meines Cholesterinwerts. Ist das was anderes, als wenn William Drogen
nimmt? Verurteile ich mich auch jedesmal, wenn ich ein köstliches, fetthaltiges
Dessert bestelle?
    Nein. Drogen sind eine andere Sache.
    Und Megan hat gelogen.
    Und Kip hat gelogen.
    Aber ich habe für William gelogen.
Anders. Völlig anders.
    Ach Scheiße, du verurteilst die Leute
andauernd.
    Helen sollte etwas anderes mit ihrem
Leben anfangen. Susan und Stan sollten häufiger unter Leute gehen. Rick sollte
aufpassen, daß er nicht so dick wird. Boover sollte eine Therapie machen.
Elissa sollte eine Beziehung aufbauen. Jill und Jenny sollten sich kein Haus auf
dem Land kaufen. Ed sollte sich einen Laserdrucker kaufen und nicht mehr seinen
alten Matrixdrucker benutzen, um Himmels willen!
    Sollten, sollten, sollten.
    Was kümmert es mich, welchen
Drucker Ed benutzt? Ob die Js sich ein Haus kaufen, oder ob Elissa einen
Partner findet? Vielleicht sind ihre Gewohnheiten und ihre Lebensweise besser,
so wie sie es selbst bestimmt haben.
    Insgeheim denkst du, daß du alles am
besten weißt!
    Mag sein.
    Ich esse einen Bissen von der Torte.
Himmlisch. Ich gehe zu hart mit mir ins Gericht. Ja, ich verurteile mich
selbst!
    Und schließlich, was habe ich schon
getan? Ich habe Kip nicht angelogen oder Drogen genommen oder sonst etwas
getan.
    Der perfekte Mensch!
    Ist mir meine Liebste über alles, was
sie weiß, die Wahrheit schuldig? Sollte sie eine Freundin im Stich lassen, weil
sie, wenn sie es nicht tut, sonst mich im Stich läßt? Hat mir schon mal jemand
etwas erzählt und mich gebeten, es Kip nicht weiterzusagen?
    Natürlich!
    Und habe ich es ihr gesagt?
    Nein.
    Aber das war etwas anderes.
    Oder?
    In meinem Kopf dreht sich alles. Ich
bin überfordert. Ich kann diese Fragen jetzt nicht beantworten. Ich habe
gewisse Dinge zu erledigen. Ich esse auf und lasse mir die Rechnung bringen.
    Ich muß zu Megs Wohnung gehen und die
Kleidung aussuchen, in der sie begraben wird. Automatisch frage ich mich, was
ich dort wohl sonst noch finden werde. Vielleicht noch eine Sache, die mir zu
sagen sich niemand die Mühe gegeben hat.

 
     
     
     
     
     
     
     
     
     Meg lebt... lebte... auf der King Street. Diese zweigt von der Sixth
Avenue ab und liegt eine Straße jenseits der Grenzlinie zwischen Greenwich
Village und SoHo. SoHo bedeutet South of Houston. New York City besteht aus
einer Vielzahl von Vierteln, alle mit eigenem Namen.
    Ihre Wohnung befindet sich in einem
Backsteinhaus. Gewöhnlich sind die Backsteinhäuser sehr schmal, doch dieses
hier nicht. Das Gebäude wird von den Besitzern, die die beiden unteren Etagen
bewohnen, tadellos in Schuß gehalten. In den Fensterkästen blühen sogar
Geranien.
    Ich steige die Betonstufen hoch,
benutze für die massive Walnußtür meinen Schlüssel. Drinnen mache ich mich auf
den Weg zur obersten Etage. An der Wand, neben Megs Tür, hängt ein Deborah
Kass-Gemälde. Es stammt aus ihrer neuesten Periode und bringt mich zum Lächeln,
obwohl ich es schon so oft gesehen habe. Ich frage mich, wer es bekommen wird,
und zum ersten Mal kommt mir der Gedanke an ein Testament.
    Hat Meg eins geschrieben?
    Falls ja, wo ist es?
    Wer ist der Testamentsvollstrecker?
    Warum bin ich es nicht?
    Werde ich meiner Mutter immer ähnlicher
und beziehe alles gleich auf mich? Ich tröste mich damit, daß es ja noch keinen
fanatischen Narziß aus mir macht, wenn mir bewußt wird, daß vieles von dem, was
geschehen ist, unmittelbare Bedeutung für mein Leben hat.
    Ich schließe Megs Tür auf. Eine
niederschmetternde Stille empfängt mich. In meinem Kopf höre ich Megs Stimme: »Komm
rein, Laur. Ich bin in der Küche.« »Bist du ‘s, Laur? Ich bin am Telefon, komme
gleich zu dir.« »Hey, Laur, was gibt’s Neues ?«
    Meine Augen füllen sich mit Tränen, und
als ich in den Korridor blicke, ist er verschwommen, unscharf. Ich werde nie
mehr Megs Stimme hören. Ich werde nie mehr in ihre Wohnung kommen und sie
sehen. Es ist mir fast unmöglich, das zu glauben. Ich muß mich konzentrieren,
um diese Vorstellung begreifen zu können. Diese Vorstellung? Wo bin ich, etwa
in Hollywood? Sie wollen eine Vorstellung? Hier ist eine von allererster Güte:
Meg ist tot. Wenn ich es mir immer wieder sage, wie ein Mantra, werde ich es vielleicht
schließlich glauben.
    Ich schließe die Tür, sperre sie

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