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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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Verb: umlegen, ermorden, umbringen, aus dem Weg räumen,
sie/ihn ins Jenseits befördern.
    Jetzt muß ich meinen langweiligen
Spruch aufsagen: »Ich weiß noch nicht, was ich denke.«
    Und er sagt, erwartungsgemäß: »Wenn ich
sie getötet hätte, würde ich dich dann engagieren, um herauszufinden, wer es
getan hat?«
    Mein Standardspruch: »Möglich wär’s.«
    »Na, zum Teufel, ich hab’s nicht
getan.«
    »Also wo warst du?«
    »Zu Hause bei meiner Frau.«
    »Du hast wieder geheiratet?«
    »Zum drittenmal«, sagt er, als wäre es
eine große Leistung.
    Ich seufze. »Also nehme ich an, daß sie
dir ein Alibi gibt.«
    »Verdammt richtig.«
    »Wie lautet ihr Name?«
    »Melinda.«
    Ich schreibe es auf. »Adresse?«
    »Dieselbe wie meine.«
    »Tja, ich kenne deine nicht, Ray.«
    »Oh. Ja, stimmt. Wir leben auf Staten
Island. Haben es echt hübsch da. Ein Haus.«
    »Adresse?«
    »622 Westervelt Avenue.«
    Er fährt mit der Telefonnummer fort und
fügt hinzu, daß an jenem Abend noch zwei andere Leute bei ihm zu Hause waren.
Ich notiere mir auch ihre Namen und Telefonnummern. Ich glaube nicht, daß Ray
der Täter ist, aber ich muß ihn voll und ganz ausschließen können.
    »Da ist noch eine Sache«, sagt er.
»Melinda ist, na ja, sie ist irgendwie der eifersüchtige Typ, verstehst du?«
    »Und sie würde sich aufregen, wenn sie
wüßte, daß du diese Ermittlungen finanzierst?«
    »Ja.«
    »Ich rufe deine Freunde an.«
    »Danke.«
    »Noch etwas, Ray. Hast du irgendeine
Vermutung, einen Verdacht, wer Meg umgebracht haben könnte?«
    »Wenn es so wäre«, sagt er und streckt
die Brust raus, »würde ich dich nicht engagieren.«
    »Natürlich«, sage ich müde. Ich teile
ihm mit, daß ich mich gleich an die Arbeit machen werde und daß er sich einmal
am Tag melden soll. Ich kann’s nicht glauben, als ich dem kleinen Wurm die Hand
schüttle, doch er ist jetzt mein Arbeitgeber und ich habe keine Wahl.
    Als er weg ist, beiße ich ein Stück von
meinem Schmalzkringel ab. Er schmeckt wie Pappe. Ich weiß allerdings, daß es
nicht am Schmalzkringel liegt, sondern an mir. An meinen Gefühlen. Oder an den
Gefühlen, die Ray Davies wegen Meg in mir erzeugt hat.
    Warum hatte sie uns nicht erzählt, daß
es Blythe war, mit der Davies das Verhältnis hatte? Oder zumindest mir, wenn
sie wegen Kip bedenken hatte. Wußte sie denn nicht, daß ich es verstehen würde?
Himmel. Wußte sie nicht, wieviel Mitgefühl ich haben würde? Hatte Meg dazu
nicht genug Vertrauen in unsere Freundschaft?
    Aber vielleicht war es nicht das.
Vielleicht hatte es nichts mit mir und Meg zu tun. Vielleicht war es der
Wunsch, ihre Tochter zu schützen, selbst unter diesen Umständen. Man würde
annehmen, sie hätte den Wunsch, Blythe bloßzustellen, alle wissen zu lassen,
welch unerträgliche, verkommene kleine Göre sie war. Und wer hätte es ihr
verdenken können? Da sie Meg so hintergangen hatte. Doch dann wird mir klar,
daß es genau das war, was sie schweigen ließ. Etwas, das ich nie am eigenen
Leib werde nachvollziehen können. Mütter und Töchter. Ich bin eine Tochter,
aber keine Mutter und werde es nie sein. Wollte es nie sein.
    Würde meine Mutter mich schützen, wenn
ich sie irgendwie gedemütigt oder hintergangen hätte? Ich weiß instinktiv, daß
sie es tun würde, auch wenn sie eine Trinkerin ist.
    Ich gelange zu dem Schluß, daß
Mutterliebe etwas Besonderes ist, ganz anders als andere Formen der Liebe, doch
ich kann nicht genau wissen, wie sie ist. Ich kann diese Beziehung zu einem
anderen Wesen, das aus meinem Körper gekrochen, ein echter Teil von mir ist,
nicht fühlen.
    Trotzdem kann ich es nachempfinden. Ich
kann meinem Liebling Meg verzeihen, daß sie mich angelogen hat. Allmählich
lerne ich zu akzeptieren, auch wenn ich es nicht voll und ganz verstehe, daß
ich die Freundin, die ich so gut zu kennen glaubte, im Grunde nicht kannte.
    Und das tut weh. Es tut höllisch weh.
     
    Also habe ich jetzt Arbeit. Als erstes
rufe ich Blythe an. Sie hebt tatsächlich ab.
    »Ich weiß, ich hätte kommen oder
anrufen sollen, aber ich wurde damit nicht fertig«, sagt sie zu mir über ihr
Nichterscheinen im Beerdigungsinstitut.
    »Megs Leiche wird heute nachmittag
freigegeben«, sage ich ihr ohne Umschweife.
    Stille.
    »Blythe?«
    Nicht einmal Atemgeräusche.
    »Blythe, bist du noch dran?«
    »Ja«, sagt sie leise. »Was sollen wir
tun, Laur?«
    Es gefällt mir nicht, daß sie mich Laur
nennt. Einzig Meg durfte mich so nennen.
    »Wir müssen die

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