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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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sie...«
    »Sag’s mir, Kip.«
    »Sie hatte Angst, du würdest sie
verurteilen. Ich weiß, das verletzt dich, Lauren, aber...«
    »Verurteilen? Verurteilen? Nach allem,
was ich mit dieser Frau zusammen durchgemacht habe? Ich kann diese Scheiße
nicht glauben.« Ich schiebe meinen Stuhl zurück, nehme meine Coladose und
schleudere sie als gute New Yorkerin in den Recycling-Sack. »Wann? Ich frage
dich, wann habe ich Megan Harbaugh verurteilt?«
    »Was spielt das jetzt noch für eine
Rolle? Apropos im großen Maßstab.«
    Ich weiß, daß sie recht hat, aber ich
kann nicht aufhören. »Hat sie dir gesagt, wann ich sie jemals verurteilt haben
soll? Hm? Hat sie’s gesagt?«
    » Lauren , hör auf.«
    »Nein. Ich will es wissen. Hat sie’s
gesagt?«
    »Na schön. Meg dachte, du würdest sie laufend verurteilen.«
    »WAS?«
    Kip zuckt mit den Schultern. »Das hat
sie gedacht. Es tut mir leid. So hat sie es gesagt.«
    »NIEMALS.«
    Kip schweigt, doch sie hat diesen
Blick, der besagt Es kommt noch mehr.
    »Was ist? Was sonst noch?« frage ich.
    »Nichts.« Kip bringt ihren Teller zur
Spüle.
    »Nichts. Humbug, verschon mich damit.
Meinst du etwa, ich kann es nicht an deinem Gesicht ablesen?«
    »Lauren, mag ja sein, daß du sie nicht
verurteilt hast, aber du hast ihr dieses Gefühl vermittelt.«
    »Aber du und ich haben oft über Meg
gesprochen.«
    »Und?«
    »Und habe ich sie verurteilt?«
    »Ja.«
    »Du bist verrückt, Kip. Ich habe diese
Frau nie verurteilt. Ich liebte sie wie meine Schwester.«
    »Das weiß ich ja. Reg dich doch nicht
so auf.«
    »Reg dich nicht auf? Und das von einer
Therapeutin? Und außerdem, warum hast du mir das von Ray und Blythe denn
nicht erzählt?«
    »Weil ich es Meg versprochen hatte.«
    »Ich wußte, daß du das sagen würdest.«
Wütend dränge ich mich an ihr vorbei und schlage die Haustür hinter mir zu.
    Ich kann nicht glauben, was ich gerade
erfahren habe. Meine liebste Freundin dachte, ich verurteile sie, erzählte
meiner Liebsten eine unglaublich wichtige Sache, und meine Liebste verschwieg
es mir, weil sie es meiner liebsten Freundin versprochen hatte. Das macht mich
körperlich krank. Ein Schmerz frißt sich durch meinen Bauch wie eine
Miniaturkettensäge. Im Handumdrehen bin ich im Donatello’s und sitze mit einem
Cappuccino und einem riesigen Stück Schokoladen-Ganache-Torte an einem Tisch.
    Ich greife nach meiner Tasse, doch als
ich sie hochhebe, stelle ich fest, daß meine Hand zittert. Ich stelle sie
deshalb wieder hin und verschütte dabei etwas auf den Tisch. Während ich es
aufwische, merke ich, daß ich am ganzen Körper zittere.
    Die pure Wut.
    Ich kann mich nicht erinnern, wann ich
das letztemal das Gefühl hatte, mein Körper werde von einem Erdbeben
erschüttert. Von einem Körperbeben. Wird ein Teil von mir abfallen, in das mich
umgebende Meer der Bosheit und Doppelzüngigkeit?
    Ich kann nicht fassen, daß Kip mich so
getäuscht hat. Klar, als diese Geschichte mit Blythe und Ray vorfiel, waren Kip
und ich erst acht Jahre zusammen. Wieso denke ich erst ? Und Megan, die
ich fast mein ganzes Leben gekannt habe, belog mich, indem sie mir etwas
verschwieg. Ich frage mich, was man mir sonst noch alles nicht gesagt hat...
was ich nicht über sie weiß. Es scheint so, als kämen die Enthüllungen in
entsetzlichen Wellen. Und ich ertrinke.
    Ach, halt die Klappe, Lauren. Viel zu
dramatisch.
    Ja, mag sein. Aber warum fühle ich mich
so mies? Ich muß meine Gefühle sortieren, wahr von falsch trennen,
herausfinden, was mir welchen Kummer macht.
    Ist es wahr, daß ich Meg verurteilt
habe?
    Gebe ich immer Urteile über andere
Menschen ab?
    Natürlich tue ich das, aber das machen
doch alle.
    Oder?
    Es ist ganz normal.
    Oder nicht?
    Mir fällt blitzartig ein, was William
einmal zu mir gesagt hat: »Wenn du mit dem Finger aufjemanden zeigst, dann
zeigen drei Finger auf dich.«
    Warum hat er das zu mir gesagt? Ich muß
ein Urteil abgegeben haben. An die Begleitumstände kann ich mich nicht
erinnern, aber es ist klar, daß William so etwas nicht ohne Grund sagen würde.
Ist das der Grund, warum er so lange brauchte, um mir von dem Kokain zu
erzählen? Und habe ich ihn verurteilt, als er es mir sagte?
    Ja. Ich nannte es nicht so, aber genau
das habe ich getan. In dem Augenblick fielen mir andere Charakterfehler an mir
auf, aber im Grunde lief es darauf hinaus, daß ich William verurteilte.
    Aber er nimmt doch Drogen, schreie ich in meinem Kopf.
    Na und?
    Ich halte es für schwach und

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