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Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Titel: Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Schädlich
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der Küche kam, mit einem Gericht, das ich dem Besitzer bringen sollte. Er wollte an der Bar essen, sein Platz war gedeckt. Als ich aus der Küche kam, telefonierte er. Und ich hörte ihn sagen: Heil Hitler.
    Ich brachte den Teller zurück. Ich band die kleine weiße Schürze ab, ich nahm meine Jacke von der Garderobe. Ich sagte, solche wie er seien für mich tot, und Tote brauchten kein Essen. Es war der letzte Abend für mich in dem Restaurant.
    Jetzt hatte ich zwar keine Arbeit mehr, keine Kleinigkeit ohne Arbeitserlaubnis, aber ich war raus da.
    Mit einer Frau, die als Au-pair nach Los Angeles gekommen war und auch Arbeit suchte, machte ich mich auf den Weg. Wir bewarben uns bei den teuersten Restaurants der Stadt, da wo Jaguar, Mercedes, Rolls-Royce vorfuhren und Männer in weißer Livree und weißen Handschuhen den Ankömmlingen die Wagentüren öffneten. Und wir wurden Freundinnen.
    Sie zog mit in das Haus in Venice. Aber Venice war nicht nur Strandpromenade und Kanäle und Touristenattraktion. Venice war auch knallhartes Pflaster. Bestimmte Straßen unbegehbar nachts. Ich lief dort aus Unwissenheit, bis mich der Freund belehrte.
    »Da kannst du nicht lang laufen. Schon gar nicht als Weiße. Hier passiert dauernd etwas. Ruf mich an, wenn du irgendwo bist, ich hole dich mit dem Auto ab. In Los Angeles läuft man nicht überall zu Fuß, merk dir das.«
    Ich merkte es mir, und ich merkte, das Leben in Amerika musste gelernt werden. Ich musste lernen zu sehen, mit amerikanischen Augen, nicht mit deutschen.
    Eines Abends saßen wir vor dem Fernseher in unserem Haus. Bei spannenden Szenen stand ich auf und gab vor, etwas holen zu wollen. So ist das heute noch bei mir.
    »Ich brauche eine Zigarette, die liegen im Zimmer.«
    »Bleib sitzen, so schlimm wird es schon nicht.«
    Ich stand auf. Ging durch die Küche. Knipste das Licht nicht an, auch nicht in meinem Zimmer. Ich wusste, wo die Zigaretten lagen. Ein Griff würde genügen. Ich trat auf etwas, was vorher nicht auf dem Boden gelegen hatte. Ich wusste es genau. Ich hatte aufgeräumt. Mir gefror das Blut in den Adern. Ich brachte auch keinen Ton heraus. Ich knipste das Licht an. Überall lagen Dinge verstreut. Erst da fing ich an zu schreien.
    Alle drei Zimmer durchwühlt. Ausgeraubt. Ich wollte mir nicht vorstellen, was gewesen wäre, wäre der Thriller früher spannend geworden.
    Danach wollte ich nicht mehr in Venice wohnen. Als die Freundin und ich eine Wohnung gefunden hatten, packten wir die Sachen ins Auto, die Matratze aufs Dach, mit Schnüren festgebunden. Über den Freeway die Fahrt. Die Matratze mussten wir festhalten, die Freundin mit der linken Hand, die rechte am Steuer. Der Auszug der Kinder ins Jüdische Viertel, das wegen seiner vielen Restaurants »Kosher Canyon« genannt wird. Hebräische Aufschriften an Schaufenstern, Jiddisch in Läden und Restaurants. Hier gab es Brot, wie wir es kannten. Käse, Kraut. Als ich das erste Mal dort war, war ich aus dem Staunen nicht herausgekommen, ein Staunen, das begleitet war von einem Schauder, weil ich Deutsche war und mich möglichst nicht als solche zu erkennen geben wollte. Das hat auch die Wohnungssuche schwergemacht in dem Viertel, das wir uns für uns ausgeguckt hatten. Jeder Anruf wie ein Berg, einmal mit einer jüdischen Dame.
    Ich, mit deutschem Akzent: »Hi, ich rufe wegen der Wohnung an, ist sie noch frei?«
    »Oh ja, sie ist noch frei.«
    Ich: »Das ist ja toll, können wir sie uns heute noch ansehen?«
    »Natürlich, passt es Ihnen heute nachmittag um drei?«
    Ich: »Das geht.«
    »Eine Frage, wer ist ›wir‹??«
    Ich: »Eine Freundin und ich.«
    »Und wie heißen Sie?«
    Ich: »Susanna.«
    »Das ist ein wunderschöner Name. Sind Sie Jüdin?«
    Ich wünschte, ich hatte sagen können, ja, nur um der nächsten Frage, die immer kam, wenn ich mit nein antwortete, entgehen zu können.
    »Woher kommen Sie?«
    Ich: »Aus Deutschland.«
    »Ah. Es ist trotzdem ein schöner Name.«
    Oder die zwei älteren Herren, sie sprachen Englisch mit starkem deutschen Akzent. Sie sahen aus wie Brüder. Uns gefiel die Wohnung auf Anhieb, obgleich sie eigentlich zu klein war für zwei Personen. Ein Schlafzimmer mit Fenstern bis zum Boden. Ein Wohnzimmer mit integrierter Kitchenette. Barhockern an einem kleinen Tresen. Und ein Bad. Erster Stock, sonnendurchflutet.
    Der eine: »Gefällt Ihnen der Blick?«
    Ich: »Ja, sehr.«
    Der andere: »Die Küche ist komplett neu eingerichtet.«
    Die Freundin: »Das ist

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