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Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Titel: Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Schädlich
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fuhr. Die Stunden wollten nicht vergehen, weil die Aufregung so groß war. Schließlich standen wir doch am Check-in-Schalter, Pakistani Airlines, gaben das Gepäck auf, bekamen Bordkarten, und immer wieder der rückversichernde Griff an den Bauch, um den das Geld geschnallt war. Einstieg ins Flugzeug, das schon eine Reise hinter sich hatte und mit ihm die Passagiere, die nicht in Frankfurt ausgestiegen waren, die auf den Sitzen lagen, schlafend oder dösend, erschöpft. Verschleierte Frauen, Kinder, Männer mit Bärten. Blicke auf das Fremde. Ungewohnte Düfte aus der Bordküche über allen. Amerika fing im Flugzeug an, ein Schiff voller Emigranten, voller Hoffnung, die Wolken die Gischt, das Blaue des Himmels das Meer. Aber erst nach dem Start. Der jagte uns noch einen Schrecken ein. Die rasende Fahrt über das Rollfeld, das Abheben, der Steigflug, bei dem sämtliche Klappen der Handgepäckfächer aufgingen, Domino in ich weiß nicht wieviel Metern Höhe.
    Nach sieben Stunden fiebriger Gespräche, ruhelosen Schlafs, beredten Schweigens drückten wir uns die Nasen platt am Fenster, kein Licht in der Tiefe, der wir uns langsam näherten, sollte uns entgehen, die Größe des Augenblicks der Ankunft im Gedächtnis bleiben. New York. John F. Kennedy-Airport. Das waren Namen. Es war vollbracht. Ich hatte den Schritt gewagt, und jetzt wartete ich in einer riesigen Halle, in einer ewig langen Schlange auf einen Stempel. Es war schwül, es war laut, es waren all diese Sprachen, die am Ohr vorbeiflogen. Es gab so viel zu hören und zu sehen, und ich wusste sofort, Hören und Sehen würde mir hier nicht vergehen. Ich empfand es als keine Bedrohung, eher als Herausforderung. In der Hitze und Lautstärke in dieser Einreisehalle, in dieser Flut von Menschen, war nur eins bedrohlich. Es war eine Stimme, eine einzige. Sie kam von einem Uniformierten, der die Reihen abschritt, der einen Schlagstock an seiner Seite leicht hin und her schwenkte – wie einschüchternd können kleine Gesten sein –, der in Abständen brüllte und mit dem Stock auf eine gelbe Linie zeigte, die es nicht zu betreten galt, auch nicht aus Unachtsamkeit, vor Übermüdung. Die gelbe Linie hatte etwas Magisches. Je mehr man sich anstrengte, nicht darauf zu treten, desto öfter trat man darauf. Desto eindringlicher erhob sich die Stimme des Uniformierten, sie diene dazu, darüber zu treten, nicht darauf, wenn man endlich, nachdem man lange genug hinter ihr gewartet hatte, aufgefordert wurde, vorzutreten. Pass in der Hand, ängstlich, ob der Zutritt ins Land gewährt würde. Wohl deshalb ließ ich mich in einem ersten Brief nach Deutschland zu dem Satz hinreißen, Amerika sei wie die DDR. Nur deshalb. Da erlag ich noch der Vergleichsmanie, die nichts anderes war als das Symptom einer unabgeschlossenen Epoche in mir.
    Ich trat also an den Beamten heran, der an einem Computer saß.
    »Passport?«
    Ich reichte ihn hin. Er blätterte vor und zurück und vor und blickte von mir auf das Passbild und wieder zu mir.
    »Have you ever been in the US before?«
    Ich schaute ihn fragend an.
    »H a v e   y o u   b e e n   i n   A m e r i c a   b e f o r e?«
    »America before« konnte ich jetzt deutlich verstehen. Ich schüttelte den Kopf.
    »Do you plan to stay in New York?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Tourist, hm?«
    Ich nickte und blickte unschuldig.
    »Alright.«
    Ich bekam den ersehnten Stempel, Aufenthaltsgenehmigung für drei Monate. Gedanken darüber, wie es danach weitergehen sollte, waren nicht da. Wir saßen in einem Taxi, fuhren durch New York zu einer Adresse, die auf einem Zettel stand, die ich dem Fahrer genannt hatte. Der sprach ebensowenig Englisch wie wir, war aber ortskundig und fuhr uns viel zu lange, aber das wussten wir erst später.

11
    New York war ein kleines Apartment, ein Zimmer, Dusche und Toilette und Küchenecke. New York war acht Schlösser an der Tür und Gitter vor dem Fenster. New York war hoch, New York war laut und voll. New York war schrill und spießig. New York war Little Italy und Soho und Brooklyn und Coney Island. New York war Upper und Lower East Side. New York war Tagleben und Nachtleben, ohne zu wissen, wann das eine anfing und das andere aufhörte. Wir erkundeten alles, wir liefen uns die Füße wund. New York war auch Sprachlosigkeit über das Elend auf den Straßen, den Kontrast zwischen arm und reich, über die Schnelligkeit, die ein Sich-Nähern gar nicht zuließ. New York war Lois. Der schöne mit den

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