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Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Titel: Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Schädlich
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der Vater. »Wolf Biermann war auch da. Er saß in einem separaten Raum, den Gang runter, weil er so viele Akten hatte.«
    Zuvor hatten die Mutter und der Vater telefoniert, etwa so:
    Die Mutter: Hoffentlich findest du niemanden, den wir kennen.
    Danach telefonierten sie wieder.
    Die Mutter: Hast du jemanden gefunden?
    Der Vater: Gott sei Dank, nein.
    Am 22. Januar ging der Vater wieder um 9.00 Uhr in die Gauck-Behörde.
    »An diesem zweiten Tag habe ich Karlheinz entdeckt. Ich bin irgendwann aufgestanden und zu Jürgen gegangen. Ich sagte zu ihm: Ich muss mal raus, kommst du mit? Wir haben eine Zigarette geraucht, und ich habe ihm gesagt, dass ich Karlheinz entdeckt habe. Er sagte: Du musst erst einmal nach Hause fahren, musst dich sammeln. Das habe ich gemacht. Ich ging also zu meinem Wagen und stieg ein. Ich konnte nicht losfahren. Ich verfiel in eine Art Weinkrampf. Die Frontscheibe beschlug von innen. Ich habe lange dort gesessen. Als ich mich beruhigt hatte, ließ ich den Wagen an, schaltete die Lüftung ein, die Sicht durch die Scheibe wurde klar. Dann bin ich nach Hause gefahren«, erzählt der Vater.
    Am 24. Januar fuhr der Vater wieder um 9.00 Uhr in die Gauck-Behörde. Es war ein Freitag. Dann kam das Wochenende. Der Vater rief die Mutter an und sagte ihr, jetzt habe er doch jemanden gefunden. Die Mutter sagte es der Schwester. Die Mutter sagte es mir.
    Am 27. Januar war der Vater wieder in der Gauck-Behörde. Er las. Die anderen lasen. Es war wieder so still wie in einer Bibliothek. Irgendwann stand er auf. »Ich sagte: Hört zu, ich muss euch eine wichtige Mitteilung machen. Ich habe in den Akten entdeckt, dass mein Bruder als IM ›Schäfer‹ für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet hat«, erzählt der Vater. »Katja Havemann sagte, sie habe schon darauf gewartet, dass er das sage, bei ihr sei er auch drin. Dann hat Gerd Poppe gesagt, bei ihm sei er auch drin. Hubertus hat mich entgeistert angesehen.«

    Ich bin froh, dass ich damals in Amerika war. Ich war nicht unmittelbar mit der Sache befasst. Zu mir drangen die Nachrichten langsam vor, per Fax, per Anruf, zeitversetzt. So erfuhr ich auch erst Tage später, dass der Vater am 22. Januar, an dem Tag, an dem er den Verrat entdeckt hatte, seinen Bruder angerufen hatte. Um 19.00 Uhr. Ob er davor x Zigaretten geraucht hat? Ich kann es mir vorstellen. Ob er zuvor das Telefon angestarrt hat? Ich kann es mir vorstellen. Ob sein Herz bis zum Hals geschlagen hat? Ich kann es mir vorstellen. Trotzdem sprach er ruhig, so wie immer:
    – Ich will mit dir reden.
    Karlheinz: Weil ich dir etwas verschwiegen habe?
    – Mein Grund ist, ich will dir helfen.
    Karlheinz: Mir ist nicht zu helfen. Ich bin auf diesen Fall vorbereitet.
    – Ich kann dir geistig helfen.
    Karlheinz: Gut, wir treffen uns.
    Bruder und Bruder trafen sich am 23. Januar. Am S-Bahnhof Bellevue. Es war ein kalter Tag. Es war 11.00 Uhr. Sie gingen auf und ab. Sie sprachen:
    – Als ich gestern die Gauck-Behörde verlassen hatte, verfiel ich in einen Weinkrampf. Weil ich in den Akten so viele Dinge gefunden habe, die beweisen, dass du für das MfS gearbeitet hast.
    Karlheinz: Ich war IM »Schäfer«. Ich habe meine Identität verspielt. Ich bin ein Nichts. Mir ist nicht zu helfen. Ich kann mir auch nicht mehr selbst helfen. Ich kann die Scham, die ich empfinde, nicht mehr ertragen.
    – Wann fing die Mitarbeit an?
    Karlheinz: Anfang oder Mitte der siebziger Jahre. Vielleicht sollte ich allen, denen ich geschadet habe, sagen: Ich war IM »Schäfer«.
    – Ich finde die Idee, mit allen, von denen du glaubst, dass es nötig ist, zu reden, sehr gut. Das hilft ihnen, und dir hilft es auch.
    Karlheinz: Das ist doch alles viel zu spät. Ich könnte jetzt Schluss machen.
    – Selbstmord wäre der letzte Verrat.
    Karlheinz: Ja, das stimmt.
    – Fang heute damit an, dich zu offenbaren. Fang mit Katja Havemann an. Sprich mit Bettina Wegner.
    Karlheinz: Mit Hubertus Knabe.
    – Wie kam es zu deiner Mitarbeit?
    Karlheinz: Ich wusste von einer Fluchthilfe. Meine Freundin hat einen Mann aus Hiddensee im Kofferraum nach dem Westen gebracht, und die haben erfahren, dass ich das wusste. Es kamen zwei Leute zu mir, die mich angesichts dessen zur Mitarbeit aufgefordert haben. Ich habe eingewilligt und eine Schweigeverpflichtung unterschrieben. Später kamen zwei andere, ein Mann, der sich Oberst Gutsche nannte, und eine Frau. Beim ersten Treff und später war nur noch dieser Gutsche anwesend. Er war

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