Immer wieder du: Roman (German Edition)
frechen Blick. Ausnahmsweise werde ich nicht rot.
»Was hast du heute Abend vor?«, fragt er.
Ich schwanke kurz, bevor ich eine Lüge aus dem Ärmel schüttele. »Ich … Eine Freundin hat Geburtstag. Ich gehe in Manly essen.«
Er nickt, und ich könnte schwören, dass er mich durchschaut. »Wann hast du wieder frei?«, frage ich listig.
»Montag«, sagt er.
»Hast du … Hättest du Lust, wieder herzukommen und mit mir zu Mittag zu essen?«
Er schmunzelt. »Ja, klar. Zur selben Zeit am selben Ort?«
»Geht das in Ordnung?«
»Natürlich.«
Ich ringe mir ein Lächeln ab und deute auf die Plastiktüte mit meiner neuen Errungenschaft. »Danke«, sage ich. »Danke, dass du mich überredet hast.«
»Jetzt musst du dich nach so einem Kurs erkundigen«, erwidert er.
»Auf jeden Fall!«, rufe ich begeistert, total übertrieben, weil ich eben noch so gezögert habe. Grinsend zieht Ben von dannen, und ich bin so niedergeschlagen wie immer, wenn er geht. Schweren Herzens biege ich um die Hausecke, doch sobald mir meine neue Kamera einfällt, ist wieder ein Lächeln auf meinem Gesicht.
Ich stürme durch die Eingangstür, kann es nicht erwarten, Nicola und Mel zu zeigen, was ich erstanden habe, aber als ich sie sehe, weiß ich, dass etwas nicht stimmt.
»Wer war das?«, fragt Nicola, als ich mich dem Empfangstisch nähere.
»Wer?«, erwidere ich, aber es ist zu spät. Mein Gesicht hat mich verraten.
»Auf dem Rückweg von der Mittagspause hab ich euch gesehen«, erklärt sie feixend, während ich um den Tisch herum an meinen Platz gehe.
Mit rasendem Puls überlege ich, was sie gesehen haben könnte. Als sie auf dem Rückweg war … Das war vor einer Stunde. Was? Was hat sie da gesehen?
»Was redest du da?« Um Gleichgültigkeit bemüht, setze ich mich auf meinen Hocker.
»Dieser total heiße Typ!« Nicola lässt nicht locker. Ich spüre, wie sie und Mel mich mit Argusaugen beobachten und nach einer Spur von Schwäche suchen.
»Wer – Ben ?« Ich verziehe das Gesicht.
»So heißt der? Er sieht echt gut aus!«
»Er ist ein alter Freund«, sage ich abwertend. »Er hat heute mit mir eine Kamera gekauft.« Ich ziehe die Kameraschachtel aus der Plastiktüte. »Hier, schaut mal!«
Ich hole das Gerät aus der Verpackung.
»Boah, ist die cool«, sagt Mel und beugt sich vor, um sie besser sehen zu können. »Wie teuer war die denn?«
»Sagen wir, sie hat meine Kreditkarte bis ans Limit belastet. Habt ihr was dagegen, wenn ich sie hier anschließe, um sie aufzuladen?« Ich deute auf die Steckdose unter dem Empfangstisch.
»Mach ruhig.« Mel zuckt mit den Schultern.
Nicola stützt sich mit dem Ellenbogen auf den Tisch und grinst mich an. Ich schaue zur Seite. »Und«, sagt sie, »wer ist Ben?«
»Hab ich doch gesagt, ein alter Freund.«
»Du hast noch nie von ihm gesprochen.«
»Ich bin ihm neulich erst wieder über den Weg gelaufen«, erkläre ich. »Ich kenne ihn noch aus Adelaide.«
»Noch so ’n heißer Typ aus Adelaide.« Sie seufzt.
»Er ist nicht mehr gerade jung.« Unwillkürlich muss ich lachen. »Er hat im Naturschutzpark gearbeitet, in dem ich einen Ferienjob hatte.«
»Was hat er da gemacht?« Jetzt ist Mels Interesse geweckt.
»Er war Tierpfleger. Er hat sich um die Koalas gekümmert«, erzähle ich.
»Wow! So sexy, und dann noch ein Tierfreund«, sagt Nicola verträumt.
Wie aus heiterem Himmel taucht vor meinem inneren Auge ein Bild von Nicola auf, die Ben küsst.
»Was ist?«, will Nicola wissen.
»Wie bitte?«, frage ich.
»Du hast gerade ausgesehen, als hättest du einen Geist gesehen.«
»Nein, nein, ist schon gut«, winke ich ab.
Nicola wirft Mel einen vielsagenden Blick zu. »Mach lieber weiter«, sagt Mel, und Nicola wendet sich ab. Die beiden widmen sich wieder ihrer Arbeit.
Ich schaue auf die Kamera in meinen Händen, und mir wird schwindelig. Ich versuche, tief durchzuatmen, aber die Vorstellung von Nicola zusammen mit Ben ist zu viel. Der Gedanke, irgendjemand könnte mit Ben zusammen sein, überfordert mich. Er hat keine feste Freundin. Ich will ihn keiner anderen überlassen, ich kann es nicht!
Ihn erneut gesehen zu haben, hat es nicht leichter gemacht. Nichts ist entschieden. Aber ich werde bald eine Entscheidung treffen müssen. So kann ich nicht weitermachen. Es ist falsch. Völlig falsch.
Schlagartig wird mir bewusst, dass ich diese Last seit über zehn Jahren auf den Schultern trage, aber niemanden hatte, mit dem ich darüber reden konnte. Keinen einzigen.
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