Immer wieder du: Roman (German Edition)
ernster Miene. »Mit Josh ist doch nichts passiert, oder?« Ich nehme das Glas entgegen und verschütte die Limo beinahe.
»Quatsch, nein!«
»Oh, okay, gut.« Er lacht befangen.
»Ach, Ben«, seufze ich und drehe mich so, dass ich mein Glas auf dem Beistelltisch absetzen kann. Allmählich werde ich wieder normal. »Gibst du mir bitte einen Untersetzer, ja?« Er nimmt einen vom Tisch an seiner Seite des Sofas und gibt ihn mir. Ich sehe ihn an. Er wirkt noch immer verwirrt, und ich weiß nicht, was mich überkommt, aber ich weiche seinem Blick nicht aus.
»Wer ist Charlotte?«, frage ich ohne Umschweife.
»Charlotte?« Unangenehm berührt verändert er seine Sitzhaltung. »Sie ist … ähm … sie ist meine Freundin.«
Ich weiß nicht, warum er solche Schwierigkeiten hat, das laut auszusprechen, aber er fühlt sich offenbar unwohl dabei.
»Wo ist sie?«
»In England«, antwortet er und schaut auf seinen Becher hinab.
»England? Wo in England?«
»In London.«
Plötzlich muss ich verbittert auflachen. »Du hast eine Freundin – oder muss ich Verlobte sagen –, die in der Stadt lebt, die ich gerade verlassen habe, und du bist nie auf die Idee gekommen, mir das zu erzählen?«
»Keine Ahnung, wir haben uns eigentlich nicht über solche Sachen unterhalten.«
»Soll das ein Witz sein?«, schreie ich. »Ich habe dir erzählt, dass mein Freund vor meinen Augen mit meiner Freundin gevögelt hat, und du hast nicht einmal daran gedacht zu erwähnen, dass du eine Freundin hast? Warum nicht?«
Ich spreche mit ihm, als wären wir gleichaltrig. So als stünde mir seine Antwort zu. Dass ich eine sechzehnjährige Schülerin bin, habe ich vollkommen vergessen.
»Sieh mich an!«, fordere ich.
Bens ernste Augen begegnen meinem Blick, und wir schauen uns lange an. Dann breche ich zusammen und beginne zu schluchzen. Er berührt mich nicht, tröstet mich nicht. Schließlich sehe ich auf und merke, dass er neben mir sitzt und die Hände vors Gesicht geschlagen hat. Er ist ein Mann, ein erwachsener Mann, aber er sieht verloren aus. Ich lege ihm eine Hand auf den Rücken, was ihn aus seinen Tagträumen reißt. Ich ziehe die Hand zurück, als er mich anschaut, totale Verzweiflung im Gesicht.
»Sag was!«, flehe ich ihn an.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Seine Stimme klingt angespannt, und schlagartig wird mir klar – o nein! –, dass er sich für mich schämt. Ich habe mich komplett zum Narren gemacht.
»Ich möchte nach Hause.« Ich klinge noch jünger, als ich bin.
Er steht auf. »Ich fahre dich.«
Unterwegs reden wir kein Wort. Ich starre aus dem Fenster, zutiefst gedemütigt. Ich weiß nicht, wie ich Ben je wieder gegenübertreten soll. Sobald wir das Haus erreichen, reiße ich die Wagentür auf, noch ehe er vollständig angehalten hat. Er greift nach meiner Hand, ich entziehe sie ihm erschrocken.
»Lily, es tut mir leid«, sagt er mit gequälter Stimme.
Ich sage nichts, steige einfach nur aus, schlage die Tür zu und laufe den Fußweg hinauf, so schnell mich meine Füße in den Pumps tragen.
Kapitel 8
Ich entschuldige mich, ich hätte einen verdorbenen Magen, und verbringe den restlichen Nachmittag in meinem Zimmer, wo ich versuche, die Ereignisse des Tages zu vergessen. Ich überlege, ob es mir dauerhaft helfen würde, meine Blamage auszulöschen, wenn mir ein großer Backstein auf den Kopf fiele. Auf keinen Fall werde ich morgen arbeiten gehen. Ich spiele sogar mit dem Gedanken, ganz aufzuhören.
Weil ich Ablenkung suche, schleppe ich mich gegen Abend in der Hoffnung aus meinem Schlafzimmer, dass etwas Gutes im Fernsehen läuft. Mum, Michael und Josh fläzen sich auf den Sofas und essen Truthahnreste.
»Da bist du ja, Schätzchen!«, ruft Michael. Er rückt näher an Mum heran, damit ich mich auch noch auf das Sofa quetschen kann. Josh schaltet den Fernseher ein. Es läuft ein Film mit Tom Cruise.
»Geht es dir besser?«, fragt Mum.
»Nicht so richtig. Ich glaube, ich kann morgen nicht zur Arbeit gehen«, sage ich zu Michael, um ihn schon mal auf mein Fehlen vorzubereiten.
»Warte ab, wie es dir morgen geht«, antwortet er zu meinem Verdruss. »Wie geht es Olivia?«, fügt er hinzu.
»Gut. Ein anderer Koala im Park war krank«, erwidere ich und sehe Tom Cruise zu, der einen Cocktail mixt.
»Diese Olivia, hast du die nach deiner Halbschwester benannt?«, fragt Mum.
»Ja«, antworte ich einsilbig. Die üblichen Klagen, die ich mir von Mum über den Nachwuchs meines Dads anhören muss,
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