Immer wieder du: Roman (German Edition)
Lächeln wird unsicher.
Ich erwache wieder zum Leben und öffne die Tür, bemühe mich, den Teller gerade zu halten, während ich die steile Zufahrt hinaufgehe. Ben kommt mir entgegen, als wollte er mir zu Hilfe eilen, aber ich finde mein Gleichgewicht wieder und steuere auf die Tür zu, den Blick auf den Weg gerichtet. Als ich aufschaue, bemerke ich die Verwirrung in seinem Gesicht. Er tritt zur Seite und winkt Michael zu. Ich schlage die Augen nieder und betrete das Haus. Ben hat nackte Füße.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragt er und macht die Tür hinter mir zu.
»Wie geht’s Olivia?«, platzt es aus mir heraus.
»Gut, keine Sorge. Es war ein anderer Koala aus dem Park. Ich habe ihm ein Antibiotikum gespritzt, daher müsste es ihm morgen besser gehen.« Tierpfleger rufen selten den Tierarzt, nur in Notfällen. Sie verabreichen Medikamente, nehmen Blut ab und füllen die medizinischen Berichtsblätter aus. Gelegentlich assistieren sie sogar bei Operationen.
»In zwei Stunden geh ich hin und sehe nach ihr«, fährt Ben fort. »Das ist schon okay«, betont er und legt die Hand auf meinen Arm. Offensichtlich hält er die Gesundheit des Tieres für den Grund meiner steifen Körperhaltung. »Komm rein! Olivia ist im Wohnzimmer, falls du selbst nach ihr sehen willst.«
Ich gehe voraus, drehe mich um und reiche ihm den Teller. »Das hab ich dir mitgebracht«, murmele ich.
»Prima, danke. Und ich habe das hier für dich.« Er greift hinter sich und holt ein rot-weiß gestreiftes Päckchen von einem Schrank. Grinsend überreicht er es mir. Ich habe ihm letztendlich nichts gekauft. Ich hatte Angst, damit meine Gefühle für ihn zu offenbaren.
»Was ist das?«, frage ich. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich habe das Gefühl, daran zu ersticken.
»Mach es auf!« Wieder vergeht ihm das Lächeln, als er merkt, wie ich aussehe. »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragt er noch einmal.
Wie benommen setze ich mich aufs Sofa, öffne das Geschenk und will das Papier aus einem unerfindlichen Grund nicht zerreißen. Sechs Filmrollen purzeln mir entgegen. Meine Augen füllen sich mit Tränen, ich verliere die Fassung.
»Lily, was ist los?«, fragt er erschrocken, setzt sich neben mich und legt seine warme Hand auf meinen Arm. Ich schüttele ihn ab und bedaure es im selben Moment. Ich vergrabe den Kopf in den Händen und gebe mir die größte Mühe, nicht zu schluchzen. Ich will unbedingt die Wahrheit über diese Charlotte wissen, aber ich weiß einfach nicht, wie ich fragen soll, schon gar nicht jetzt, nachdem er meine Reaktion gesehen hat. Ich komme mir vor wie ein albernes kleines Mädchen.
»Bitte, erzähl es mir«, drängt er leise.
Ich schüttele heftig den Kopf und möchte, dass er für eine Weile verschwindet, damit ich wieder zu mir kommen kann. Ich wünsche mir so sehr, dass ich meinen Führerschein schon hätte, damit ich weit, weit von hier wegfahren könnte.
»Schau, es geht ihr gut. Da drüben ist sie.«
Ich blicke auf und folge seinem ausgestreckten Finger in Richtung Olivia, die zusammengerollt in einer Kiste neben der Heizung schläft. Ich nicke.
»Aber darum geht es nicht, oder? Ist es dein Dad? Kay? Olivia? Dem Joey ist doch nichts zugestoßen?«
»Nein, nein, nein.« Ich weiche seinem Blick aus. »Ehrlich gesagt, will ich nicht darüber sprechen.«
»So wie jetzt habe ich dich noch nie erlebt. Liegt es an Dan? Shannon?«
Als würde ich mich um meinen Exfreund und meine ehemalige beste Freundin scheren. »Nein.«
»Möchtest du was trinken?«, fragt er hoffnungsvoll.
In Wirklichkeit möchte ich bloß, dass er mich nach Hause bringt, damit ich mir in der Ruhe und Abgeschiedenheit meines Zimmers die Augen aus dem Kopf heulen kann. Aber das kann ich noch viel weniger aussprechen, daher antworte ich: »Ja, bitte.«
»Gut.« Er steht auf und wirkt erleichtert. »Cola? Limo?«
»Limo, bitte.«
Als er fort ist, lasse ich den Blick durch den Raum schweifen und suche nach einem Hinweis auf seine abwesende Freundin. Fotos von ihr sehe ich keine, obwohl ich vermute, in seinem Schlafzimmer könnte eins stehen. Wie sie wohl aussieht? Moment mal, könnte sie tot sein? Mein Herz tut einen Sprung, und ich weiß, wie grauenvoll diese Reaktion ist, aber vielleicht hat Michael das damit gemeint, als er sagte, Ben sei »ein bisschen einsam«. Hm. Nicht gerade das Wort, mit dem man jemanden beschreiben würde, der seine Partnerin ans Jenseits verloren hat. Wie sie wohl aussieht …
Ben kommt wieder, mit
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