Immorality Engine
schwang auf. Drinnen war es dunkel, sie konnte nicht viel
erkennen, doch der Geruch war entsetzlich. Es stank nach Fäkalien, Schweià und
anderen Dingen, die sie nicht identifizieren konnte oder wollte.
Also eindeutig Tiere. Sie überlegte, ob
sie ihr Taschentuch herausholen und sich das Gesicht bedecken sollte. Dann fiel
ihr ein, dass sie es in der Leichenhalle vergessen hatte.
Sie trat weiter in den Raum hinein und wartete, bis die Augen sich
auf das schwache Licht eingestellt hatten. Irgendwo in der Nähe bewegte sich
etwas. Etwas GroÃes verursachte eine Luftströmung in dem Raum. Vielleicht eine
Art Maschine. In der Dunkelheit hörte sie ein leises Surren und Murmeln. Sie
ging weiter und bekam sofort das Gefühl, sich in einer weiten offenen Kammer zu
befinden, vielleicht in einer Halle oder einem Ballsaal mitten in dem alten
Herrenhaus.
Als sie die Wand hinter sich abtastete, fand sie schlieÃlich eine
fest verschraubte Gaslaterne. Sie suchte den Knopf und drehte ihn auf, bis
etwas Licht in den finsteren Raum fiel. Dann wandte sie sich um, überblickte,
was sie nun erkennen konnte, und stieà einen Schrei aus, der lauter war als
alles, was sie bisher im Leben hervorgebracht hatte.
Jeder Gedanke an Heimlichkeit war vergessen. Sie rannte los, hielt
aber gleich wieder schlitternd an, weil sie gar nicht mehr wusste, wohin sie
blicken und wohin sie rennen sollte. Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie
dachte, sie müsste sich gleich übergeben. Vor Schock, Zorn und unermesslicher
Angst wimmerte sie.
In dem Raum befanden sich mindestens zwanzig Amelias.
Wohin ihr Blick auch fiel, sie entdeckte immer mehr. Jede einzelne
war mit ihrer Schwester in jeder Hinsicht identisch: bleiche Haut, schrecklich
dünn, rabenschwarzes Haar. Sie waren nur unzulänglich bekleidet, trugen nichts
weiter als dünne Nachthemden aus Baumwolle und waren auf verschiedene Apparate
oder Folterinstrumente geschnallt.
Veronica starrte die Vorrichtung in der Mitte des Raumes an. Es war
eine groÃe Scheibe, eine kreisrunde Plattform auf einem Podest, die sich
unablässig drehte. Auf der Scheibe lag ihre Schwester â eine der vielen.
An den Schläfen klebten Elektroden, ringsherum hatte jemand seltsame okkulte
Symbole aufgemalt. Voller Schrecken erkannte Veronica, dass die Kopie ihrer
Schwester in Form eines Pentagramms angeschnallt war. Arme, Beine und Kopf
bildeten die fünf Spitzen des Sterns. Sie plapperte unablässig und spie
Prophezeiungen und Visionen der Zukunft aus. Die anderen taten das Gleiche. Das
Murmeln, das Veronica gehört hatte, war eine endlose Litanei von Worten und
Sätzen. Beschreibungen von Ereignissen in einer anderen Zeit, Vorhersagen
schrecklicher Dinge, die noch bevorstanden.
Links neben Veronica war ein
Duplikat auf einen Stuhl geschnallt. Das strähnige Haar hing vor SchweiÃ
tropfend vor dem bejammernswerten Gesicht. Dieses Mädchen drehte den Kopf
herum, blickte mit tief eingesunkenen und von dunklen Ringen umgebenen Augen zu
Veronica hoch und flehte sie wortlos an, etwas zu tun. Andere saÃen auf den
kalten Fliesen und wiegten sich hin und her, während sie mit bloÃen
Fingernägeln etwas auf den Boden kratzten, um die Bilder festzuhalten, die sie
im Geiste sahen. Wieder eine andere lag wie tot auf einem Tisch in der Ecke, kreidebleich
und reglos. Eine stürmte auf Veronica los und streckte die Hände aus, als
wollte sie die Besucherin erwürgen. Veronica stieà einen verwirrten,
verzweifelten Ruf aus, worauf das verzagte Geschöpf vor ihr in eine dunkle Ecke
floh, wo offenbar Dutzende weitere versammelt waren, die schnatterten und
miteinander tuschelten.
Haltlos weinend ging Veronica zu der Maschine mitten im Raum. Sie
wusste nicht, was sie tun sollte. Gern hätte sie die Drehung gestoppt, doch die
Amelia auf der Scheibe funkelte sie an, fletschte die Zähne wie ein wildes Tier
und knurrte. Die Augen waren böse und verwirrt zugleich. Nein, das war nicht
ihre Schwester. Dies warâ⦠etwas Böses. Etwas Unmenschliches. Etwas
Künstliches.
Was Dr. Fabian hier auch tat, sie musste dem ein Ende setzen. Sie
musste Amelia retten und aus diesem schrecklichen Haus befreienâ⦠falls es
nicht schon zu spät war. Wie hatte sie das nur zulassen können? Was hatte sie
getan? Sie selbst hatte Newbury gedrängt, mit der Queen zu reden, damit Amelia
hierher verlegt werden konnte. Sie selbst hatte der Queen
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