Immorality Engine
stark werden, er könne
nachgeben, den gleichen Weg beschreiten wie sein Vorgänger Aubrey Knox und sich
im Okkultismus verlieren. Für Newbury war das nichts als dummes Zeug, auch wenn
er das für das Motiv hielt, das Veronicas Verrat erklärte.
Aus Unsicherheit, wie er sich verhalten sollte, hatte er sich von
ihr zurückgezogen und sich bei Johnny Changâs oder in
anderen, noch weitaus zwielichtigeren Etablissements versteckt. Er hatte sich
auf die schmutzige Seite der Londoner Gesellschaft geschlagen und sich seinen
Lastern hingegeben. Er hatte die Rufe aus dem Palast ignoriert, die Kärtchen,
die Boten ihm gebracht hatten, und später sogar die bewaffneten
Palastgardisten, die laut an seine Tür geklopft hatten. Er hatte sie alle weggeschickt. Sogar Mrs. Bradshaw hatte gekündigt. Doch
Veronica war geblieben. Trotz alledem war sie geblieben, eine feste GröÃe in
seinem Leben.
Newbury wünschte nur, er hätte keinen Grund, an ihren Motiven zu
zweifeln.
Veronica stand dicht vor dem
alten Herrenhaus im Schatten einer groÃen Eiche. Den Stamm des knorrigen
alten Baums benutzte sie als Deckung. Sie war sicher, dass niemand sie gesehen
hatte, als sie das Gebäude umrundet hatte, an der AuÃenmauer entlang durch
Blumenbeete gehuscht war und sich hinter immergrüne Büsche und Bäume geduckt
hatte.
Von ihrem jetzigen Standort aus konnte sie den weitläufigen Garten
hinter dem Gebäude mit den Formschnittbäumen und den Wasserflächen überblicken.
Alles wirkte sehr heiter, ganz anders als die Anstalten, in die ihre Eltern
Amelia vorher gesteckt hatten. Es kam ihr sogar ein wenig lächerlich vor, auf
diese Weise einzubrechen. Mehr als einmal war ihr der Gedanke gekommen, sie
hätte auch einfach zur Vordertür gehen und verlangen können, ihre Schwester zu
sprechen. Das Personal hätte sie kaum abweisen können.
Newbury hatte allerdings recht. Man hatte sie â wenngleich mit
gröÃter Höflichkeit â nachdrücklich gebeten, ihrer Schwester
fernzubleiben. Wenn sie jetzt auf einmal auftauchte, würde man sie einfach an
diese Tatsache erinnern und bitten, wieder wegzugehen. Und falls sie wirklich
Glück gehabt hätte und eingelassen worden
wäre, hätte man sie auf keinen Fall mit Amelia allein gelassen, und ihre
Schwester hätte so oder so nicht offen reden können. Dr. Fabian hätte sie
ständig überwacht, und sie hätten sich nicht freimütig unterhalten können.
Alsoâ⦠also hatte sie sich auf
dieses Unternehmen eingelassen. Einbrechen und eindringen. Nicht, dass sie so
etwas noch nie getan hätte. Ganz im Gegenteil besaà sie sogar reichlich
Erfahrung darin, sich unerlaubt und gewaltsam Zugang zu verschaffen. Niemandem
war das besser bekannt als der Queen. Selbst Newbury wusste nur von einigen
wenigen Anlässen, bei denen sie ihre einschlägigen Fähigkeiten unter Beweis
gestellt hatte.
Der Gedanke an ihn versetzte sie auf einmal in Angst. Sie dachte
schon eine ganze Weile daran, ihn einzuweihen. Genauer gesagt, seit der letzten
Schlacht gegen Aubrey Knox. Dort war sie damit herausgeplatzt, sie sei über den
Fall gut informiert, und hatte dadurch indirekt zugegeben, dass sie in einer
engen Beziehung zur Queen stand und daher weitaus mehr wusste, als man vermuten
konnte. Doch jetzt musste sie sich auf ihre Aufgabe konzentrieren. Dies war
nicht der richtige Augenblick, über so etwas zu grübeln.
Veronica betrachtete das Institut. Es gab mehrere
Terrassentüren â insgesamt zählte sie sechs â, die in gewissen
Abständen in die Rückwand des Hauses eingelassen waren. Vermutlich hatte
Newbury mit der Annahme recht, dass sie zu den Zimmern von Patienten gehörten,
die auf diesem Weg leicht den Garten erreichen konnten. Nun musste sie nur noch
Amelias Zimmer finden, und dann konnte ihre Schwester ihr von innen öffnen.
Es klang so einfach. Falls aber
ein anderer Bewohner zufällig nach drauÃen schaute, flog sie sofort auf und
stand ungeschützt im Freien, sobald Alarm geschlagen wurde. Das Risiko war zu
groÃ.
Also verlegte sie sich darauf, durch ein Fenster einzusteigen. Ein
geeignetes Ziel hatte sie schon ausgemacht, als sie aus den Büschen getreten
war und sich hinter der alten Eiche versteckt hatte. Ein groÃes Fenster stand offen, weil der Raum, zu dem es
gehörte, offenbar gelüftet werden sollte. Das wäre kein eleganter
Weitere Kostenlose Bücher