Immortal 3 - Schwarze Glut
»Du bist mein Leben, und ich werde dich nie verlassen. Denk daran!«
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»Immer«, fl üsterte Christine. So wie ihr Herz schmerzte, wollte sie wetten, dass es blutete.
Die Aufzugtüren öffneten sich. Kalen legte eine Hand auf Christines Rücken und betrat mit ihr die Galerie. Das Gebäude musste mehrere hundert Jahre alt sein, trotzdem waren die Räume sehr modern und eindrucksvoll. Mindestens drei Stockwerke mussten entkernt worden sein, um diese Raumhöhen zu erreichen. Der Boden schien zu schweben. Eine offene schwarze Treppe führte hinunter ins Foyer. Polierte Chromgeländer und unauffällige Beleuchtung sorgten für eine fantastische Atmosphäre. Alle Farben waren neutral gehalten – Weiß, glänzendes Schwarz und mattes Beige. Es war der perfekte Rahmen für die Kunst, die auf kurvigen Sockeln und freistehenden Staffeleien ausgestellt war. Aus verborgenen Lautsprechern klang Musik – Manannán natürlich. Überall standen leinenverhüllte Tische, die mit Kristall und Porzellan gedeckt waren. Ein Dutzend oder mehr Sidhe-Kellner in Smokings warteten darauf, dass die Gäste eintrafen.
»Sie sind eher Wachen als Bedienungen«, erklärte Kalen.
»Sie gehören alle zu Macs Clan. An ihnen kommt niemand vorbei, also bist du hier vollkommen sicher. Außerdem habe ich alles magisch geschützt.«
»Was ist mit dem Eingang? Die Gäste müssen doch hereinkommen können.«
»Wir heben den Schutz gerade lange genug auf, um sie hereinzulassen. Nachzügler kommen nicht mehr herein. Kurz bevor die Türen geöffnet werden, gehen wir nach unten. Aber jetzt möchte ich von dir wissen, was du von der Künstlerin hältst, die ich zum Mittelpunkt dieser Vernissage gemacht habe.«
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Sie schritten durch die Galerie auf einen erhobenen Bereich in der Mitte zu, auf dem die Hauptwerke der Vernissage ausgestellt waren. Christine brauchte volle dreißig Sekunden, bis sie begriff, was sie da sah. Losgelöst wie in einem Traum, ließ
sie sich von Kalen die wenigen Stufen hinauf auf die Bühne führen.
»Aber … das sind meine!«
Er lächelte. »Ja.«
Es waren ihre Bilder. Ihre Gemälde, ihre Schöpfungen standen hier gerahmt und ausgestellt wie Meisterwerke. Glau- be hing vor einem glitzernden Goldhintergrund, Hoffnung vor einer schimmernden Silberbespannung. Bescheidenheit, Großzügigkeit, Freude, Vision und all die anderen Bilder waren hier!
Lediglich eine Tugend fehlte. Christine war sie nicht vertraut genug gewesen, als dass sie sich zugetraut hatte, sie zu porträtieren: Liebe . Die plötzliche Enge in ihrem Hals verriet ihr, dass sie heute keine Probleme mehr hätte, diese Empfi ndung in Aquarell einzufangen. Verwundert blickte sie Kalen an. »Was hast du getan?«
»Ich verschaffe deinem Talent die Aufmerksamkeit, die es verdient. Mir tut nur leid, dass es erst jetzt, auf deLineas letzter Vernissage, dazu kommt.«
»Aber wie hast du die Bilder gefunden? Sie waren alle in Rom, und du kennst nicht einmal meine Adresse.«
Er schüttelte grinsend den Kopf. »Das waren nichtige Hindernisse.«
»Aber …« Sie drehte sich wieder zu den Bildern um und wurde starr vor Panik. In wenigen Minuten öffneten sich die Galerietüren. Menschen kämen herein, Fremde, die ihre Bilder ansehen würden. Für sie wären sie nicht die geliebten Kin321
der, die sie für Christine darstellten, sondern eine Ware. Und entsprechend würden sie über die Werke urteilen. Ob sie lächelten oder nickten? Würden sie nachdenklich? Oder lachten sie vielleicht und machten niederschmetternde Bemerkungen?
Womöglich trat das Allerschlimmste ein: dass sie gänzlich ungerührt blieben. Ein Schmetterlingsschwarm fl atterte in Christines Bauch. Wie hatte sie je daran denken können, ihre Seele vor Fremden zu entblößen? Für einen Moment konnte sie weder denken noch atmen.
»Christine?« In Kalens Flüstern schwang etwas Unsicherheit mit. »Bist du wütend? Ich dachte, du würdest dich freuen.«
Sie hatte Mühe, ihre Stimme zu fi nden. »Ich … ich freue mich auch«, sagte sie und rang sich ein Lächeln ab, das gewiss nicht besonders überzeugend war. »Ich bin bloß überwältigt. Meine Arbeit, meine richtige Arbeit, nicht die Touristenbilder, wurde noch nie ausgestellt.« Sie schluckte. »Das ist ein bisschen beängstigend.«
Noch beängstigender war, dass Kalen es für sie getan hatte, weil er sie liebte. Und sie überlegte derweil, wie sie ihn verlassen konnte. Sie schämte sich so sehr, dass ihr Tränen in den Augen brannten.
»Komm
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