Immortal 3 - Schwarze Glut
wenn es schwer nachvollziehbar ist, hege ich eine gänzlich unbegründete Aversion dagegen, meinen Körper binnen Sekunden zerfetzen und wieder zusammenfügen zu lassen.«
»Ich benutze kein von Menschen gemachtes Transportmittel.« Er legte einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Geh und zieh dich an. Es wird alles gut, glaub mir.«
Christine seufzte. »Ich habe keine andere Wahl, oder?«
»Nicht, sofern du bei der Eröffnung dabei sein willst. Sie fi ndet in zwei Stunden statt.«
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Sie schloss kurz die Augen, um ihren Mut zu sammeln – sowohl für die Translokation als auch für das, was sie danach tun musste: einen Weg fi nden, um Kalen zu verlassen. Sie wusste, dass es nicht einfach werden würde. Und dann war da noch ihr Herz, nicht zu vergessen das schlechte Gewissen, das sie hatte, weil sie ihn betrog. Wo sollte sie die Kraft hernehmen, von ihm wegzugehen?
»Na gut«, gab sie leise nach, »ich bin in einer halben Stunde fertig.«
Während sie sich ankleidete, kämpfte sie mit den Tränen. Pearl hatte ihr ein schlichtes trägerloses Abendkleid aus tiefblauem Satin bereitgelegt, das oben eng geschnitten war und ihre Hüften und Schenkel fl ießend umschmeichelte. Unterhalb der Knie bauschte es sich zu einer schwingenden blauen Wolke. Die passenden Sandalen mit den hohen Absätzen machten Christine beinahe groß und ließen sie sehr dünn wirken. Sie verzog das Gesicht. Das war nicht gerade das passende Outfi t für eine spontane Flucht, aber es musste gehen. Sie saß am Frisiertisch im Rosenzimmer und wand ihr Haar zu einem losen Knoten, als sie im Spiegel sah, wie die Tür aufging. Kalen kam herein. Er trug die formelle schottische Abendgarderobe für den Herrn, bestehend aus weißem Hemd, kurzem Jackett und einem Kilt. Eine Felltasche hing vorn zwischen seinen Hüften, und die Goldschnallen seiner Schuhe blitzten. Diese Kostümierung betonte seine Ausstrahlung maskuliner Kraft. Sein Haar hatte er streng nach hinten gekämmt und im Nacken zusammengebunden, so dass seine hohen Wangenknochen, die perfekt gebogenen Brauen und die dunklen Augen besonders gut zur Geltung kamen. Christine prägte sich jede Linie genauestens ein. Mehr als die Erinnerung würde sie nicht mitnehmen, wenn sie ihn verließ.
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Im Spiegel begegneten sich ihre Blicke.
»Du siehst bezaubernd aus«, sagte er leise und kam näher. Hinter ihr blieb er stehen und griff in seine Jackentasche. Eine glitzernde Halskette erschien – eine Sammlung von dünnen Seidenfäden, auf die durchsichtige Steine gefädelt waren. Christine beobachtete ihn, als Kalen sie ihr um den Hals legte. Jeder Edelstein war eine Träne, die einen strahlenden Regenbogen refl ektierte. Sobald sie ihre Haut berührten, spürte sie, dass es mehr als ein simples Schmuckstück war. Ehrfürchtig betastete sie die Kette. »Aber das sind ja gar keine Steine!«
»Nein. Es sind Gischttropfen, die verzaubert wurden, damit sie ihre Form behalten. Gefallen sie dir?«
»Wie könnten sie nicht! Das ist das Erstaunlichste, was ich je gesehen habe. Wo hast du die Kette her?«
»Sie ist ein Geschenk von den Meerjungfrauen. Sie haben dich am Fenster gesehen und erkannt, dass deine Kraft ihrer sehr ähnlich ist.« Er beugte sich zu ihr und küsste ihre nackte Schulter, dass Christine ein köstlicher Schauer über den Rücken lief. »Wenn wir zurück sind, kannst du ihnen persönlich danken. Die Meerleute werden uns nach Annwyn begleiten.«
»Ja, das würde ich gern«, sagte Christine und schluckte, weil sie einen Kloß im Hals hatte. Sie würde nie nach Annwyn reisen.
Kalen nahm ihre Hand und half ihr auf. »Bereit?«
Für den Sprung nach Edinburgh. »So bereit, wie ich es nur sein kann.«
Er zog sie ganz dicht an sich, so dass sie Hüfte an Hüfte standen, und umfi ng sie mit seinen starken Armen. »Keine Sorge!«, sagte er, die Lippen an ihrer Schläfe. »Entspann dich, dann ist es leichter.«
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»Das sagen sie über Flugzeugabstürze auch.«
Kalen lachte. Christines Körper wurde stocksteif, als sie sich für das beängstigende, brechreizerregende Erlebnis wappnete. Zwanzig Sekunden, hatte Kalen gesagt. Das wäre länger als ihre bisherigen Zeit-Raum-Sprünge. Trotzdem könnte sie zwanzig Sekunden überleben – hoffte sie jedenfalls. Es waren die längsten zwanzig Sekunden ihres Lebens. Ein lautes Rauschen … das Gefühl, ihr Körper würde explodieren und jede Zelle einzeln ins Nichts wirbeln … die eklige Hilfl osigkeit, ohne Halt zu sein.
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