Immortal: In den Armen der Dunkelheit
lässig über die Armlehne gehängt. »Wir können ja nicht alle Gelehrte sein wie du, Jenna.«
»Ich bin keine Gelehrte. Ich habe nur zufällig Bücher gelesen, in denen keine Bilder sind.« Sie wandte sich wieder der Küchenarbeitsfläche zu, die sie gerade schrubbte. »Wie kommt es, dass du nicht mit Mai und Nick zu dieser Party gegangen bist? Ich weiß, dass du eingeladen warst.«
Er zuckte mit den Schultern, während er weiterlas. Sie fragte sich, warum Mai und Nick, die sich nach dem Tod von Jennas Schwester immer noch um ihren Geisteszustand sorgten, Dave als Babysitter abkommandiert hatten. »Du musst übrigens nicht bei mir bleiben. Ich bin kein Kind.«
Dave nahm seinen Comic weit genug herunter, um sie anzusehen, wobei sein Blick prüfend über ihren Körper wanderte, und seine kupferbraunen Augen funkelten belustigt. »Glaub mir, ich würde dich nie irrtümlich für ein Kind halten – niemals!«
Jenna musste sich daran erinnern, dass er damit gar nichts meinte. Flirten war für Dave so natürlich wie Atmen.
»Wie es der Zufall will«, fuhr er fort, »gehe ich nicht hin, weil ich bereits andere Pläne habe.« Er wandte sich wieder seinem Comic zu. Offensichtlich hatte er nicht vor, ihr irgendwelche Details zu enthüllen, was diese Pläne anging. Und sie konnte sie sich ohnehin denken.
Sie war schon vor der Heirat von Mai und Nick bei den beiden und Dave eingezogen, wohnte also inzwischen etwas über zwei Monate hier, in denen sie Dave ziemlich gut kennengelernt hatte. Er war ein Geistwanderer und Gestaltwandler wie Nick und arbeitete in dessen Sicherheitsfirma. Wenn er nicht mit einem Auftrag als Personenschützer beschäftigt war, empfing er einen nicht enden wollenden Strom von weiblichen Gästen, die mehrheitlich aussahen, als arbeiteten sie in den örtlichen Nachtclubs.
Jenna beschloss, dass sie eigentlich nichts über seine Pläne wissen wollte, und wandte sich wieder ihrer Arbeit in der Küche zu. Sie war fast fertig, als ihre Gegensprechanlage brummte. Ehe sie auch nur daran denken konnte, hinzugehen, hatte Dave seinen Comic beiseitegeschleudert und war aus seinem Sessel gesprungen. Er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit des geborenen Athleten durch das Zimmer. Sein Muskelshirt und die weite Baumwollsporthose betonten seinen Körperbau sehr vorteilhaft. Dave mochte bisweilen ein echter Idiot sein, aber selbst Jenna musste zugeben, dass er ein heißer Typ war.
Er drückte den Knopf der Gegensprechanlage und meldete sich mit: »Ja?«
»Dave? Ich bin’s«, verkündete eine aufgeregte Frauenstimme.
»Komm rauf!« Er drückte den Knopf, der seiner Besucherin den privaten Fahrstuhl zum Penthouse öffnete.
»Wie nett von dir!«, bemerkte Jenna trocken. »Du hast einen Spieleabend arrangiert.«
»Ja, habe ich. Und wenn du artig bist, lasse ich dich mitspielen.«
»Ein flotter Dreier?«, fragte sie übertrieben schockiert.
»Nur du, ich und Tiffany.« Er zuckte mit den Augenbrauen wie ein Stummfilmbösewicht und grinste.
»Verlockend, aber leider nichts für mich. Bedaure.«
»Du weißt ja gar nicht, was du verpasst!«, neckte er sie, als auch schon der Gong klingelte, der den Fahrstuhl ankündigte.
»Nein.
Du
weißt nicht, was
du
verpasst«, erwiderte sie, legte ihren Scheuerschwamm ab und ging aus der Küche in ihr Zimmer, dessen Tür sie hinter sich schloss.
Sie warf sich aufs Bett und kämpfte gegen eine plötzliche, wenngleich nicht unbekannte Welle von Einsamkeit an. Könnte doch nur ihre Schwester hier sein!
Sarah!
Wie ein Klageruf hallte der Name durch ihren Kopf. Sarah war vor drei Monaten von einem bösen Dschinn entführt worden, und hätte Jenna ihre Magie besser beherrscht, könnte Sarah noch leben. Mit ihr war Jennas oberste Lebensaufgabe gestorben. Nun blickte sie in eine öde, traurige Zukunft.
Es war ein langer, belebter Tag in Ravenscroft gewesen, und obgleich die Sonne vor Stunden untergegangen war, setzten sich die Geburtstagsfeierlichkeiten fort. Mai beendete ihr »Happy Birthday« und lächelte auf ihren Patensohn hinab, der grinsend beobachtete, wie alle Erwachsenen sich um ihn herum versammelten. Wo war die Zeit geblieben? Es war gar nicht lange her, dass sie und Lexi Singles gewesen waren und eine Nacht in den Clubs der Stadt das aufregendste Ereignis in ihrem Leben dargestellt hatte. Einen unsterblichen Krieger, eine vermisste Frau, ein spukendes Apartment, einen üblen Dschinn und einen teuflisch gutaussehenden Geistwanderer später waren sie und Lexi
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