Immortalis
nicht.»
Rames konnte nicht aufhören zu zittern. Dazu pulsierten seine aufgescheuerten Handgelenke unter den Plastikfesseln, und die dauernden Bewegungen riefen ein permanentes Brennen hervor. Sehen konnte er nichts, denn sie hatten ihm einen Jutesack über den Kopf gestülpt – gleich nachdem sie ihn in den Wagen gestoßen hatten. Obwohl er keinen Widerstand geleistet hatte, hatten sie ihn noch zweimal ins Gesicht geschlagen, bevor sie ihn in den Fußraum vor dem Rücksitz drückten. Mit Hilfe ihrer Füße hatten sie dafür gesorgt, dass er dort, fest zu Boden gepresst, liegenblieb.
Die Fahrt hatte nicht sehr lange gedauert. Obwohl es in dem Wagen – mit dem stinkenden Sack auf dem Kopf und gelegentlichen Fußtritten in die Rippen – ziemlich scheußlich gewesen war, hätte er nichts dagegen gehabt, sie noch ein wenig auszudehnen, wenn er damit seine jetzige Lage noch ein Weilchen hätte hinausschieben können.
Doch sie hatten ihn aus dem Wagen gezerrt, in ein hallendes Gebäude hinein und eine Treppe hinunter. Dann hatten sie ihn auf einen Stuhl gesetzt und gefesselt. Der Verrückte mit den Betonfäusten hatte sich nicht verkneifen können, ihm noch einen Schlag zu versetzen, der umso erschreckender war, weil er wie die vorigen völlig unerwartet kam und in der stickigen Dunkelheit des Sacks auf seinem Gesicht explodierte.
Er hörte Bewegung um sich herum, Schritte und ab und zu Stimmen in der Ferne, Männerstimmen. Ihr Akzent war eindeutig syrisch, was nichts Gutes ahnen ließ – aber das tat alles andere auch nicht. Mit bebenden Lippen schmeckte er den Schweiß, der über sein zerschlagenes Gesicht lief und sich mit dem Blut aus einer Platzwunde am Mund mischte. Der Sack, der nach einer Mischung aus faulem Obst und Motoröl roch, war nicht völlig undurchlässig. Ein paar stecknadelgroße Lichtpunkte schimmerten vor seinen Augen – nicht so viel, dass er etwas erkennen konnte; es war nur eine Andeutung der Außenwelt, die ihn zu verhöhnen schien, denn sie erlaubte ihm nicht, die gelegentlichen Faustschläge kommen zu sehen, die seine Entführer ihm anscheinend mit großem Vergnügen verpassten.
Er erstarrte, als er Schritte herankommen hörte. Er fühlte jemanden dicht vor sich – vermutlich jemand, der ihn betrachtete. Der stumme Schatten versperrte jeden Lichtschimmer, und in Rames’ Welt wurde es stockfinster.
Einige nervenaufreibende Sekunden lang sprach der Mann nicht. Rames schloss die Augen und wartete auf den nächsten Schlag. Das Zittern wollte nicht aufhören; es wurde sogar stärker und damit auch das brennende Gefühl an seinen Handgelenken.
Aber der Schlag kam nicht.
Stattdessen fing der Mann an zu reden.
«In zwei Stunden wird jemand Sie auf Ihrem Handy anrufen. Ein Mann aus dem Irak, der Sie gestern angesprochen hat. Richtig?»
Entsetzen durchströmte ihn. Woher weiß er das? Ich habe es niemandem erzählt. Ich habe nur die Polizei angerufen.
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Vorschlaghammer. Sie haben Kontaktleute bei der Polizei. Das bedeutet, niemand wird mich suchen. Die Hoffnung war ohnehin trügerisch gewesen. In der langen, entsetzlich brutalen Geschichte dieser Stadt war kein Entführungsopfer jemals gewaltsam befreit worden. Sie waren alle entweder freigelassen worden oder – in den meisten Fällen – eben nicht.
Er hatte keine Zeit, über diese düsteren Aussichten nachzudenken, denn der Mann packte seine linke Hand und hielt sie fest. Sein Griff war hart wie eine Eisenkralle. Rames erstarrte.
«Ich möchte, dass Sie ihm genau das sagen, was ich Ihnen jetzt auftragen werde.» Die Stimme klang trotz des ruhigen Tonfalls erschreckend bedrohlich. «Sie werden ihn davon überzeugen, dass alles okay ist. Er muss es ihnen glauben. Er muss glauben, dass alles okay ist. Wenn Sie das für uns tun, dürfen Sie wieder nach Hause gehen. Wir haben nichts gegen Sie. Aber das alles ist sehr, sehr wichtig für uns. Und es ist notwendig, dass Sie begreifen, wie wichtig es ist. Damit Sie es begreifen, müssen Sie wissen, dass das hier …»
Jäh riss der Mann Rames’ Mittelfinger nach hinten – ganz nach hinten, bis der Knochen aus dem Gelenkknorpel brach – bis auf den Handrücken.
Tränen liefen Rames über das Gesicht. Er stemmte sich gegen seine Fesseln und heulte vor Schmerz. Trotz der Welle von Endorphinen wäre er beinahe ohnmächtig geworden. Aber der Mann blieb ungerührt. Er hielt den Finger einfach fest, drückte ihn hart nach hinten und sprach
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