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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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hatte Rom sehr missfallen. Dass man den blinden Glauben des Menschen an Gott und an ein einziges Gesetz in Frage stellte, das durfte nicht sein. Die spanischen Monarchen machten sich diese Einstellung zunutze, um 1478 die Inquisition einzusetzen. Portugal folgte etwa fünfzig Jahre später. Aber wie bei allen Streitigkeiten um religiöse Differenzen waren die wahren Beweggründe andere und hatten viel mehr mit Habgier als mit Glaubensfragen zu tun. Mit der Reconquista und der Inquisition verhielt es sich nicht anders. Im Grunde ging es bei beidem um Landraub.
    Die Zwangstaufen hatten sofort begonnen. Die Halbinsel musste gesäubert – und ausgeplündert – werden. Die Juden und Muslime, die in Spanien geblieben waren, stellte man vor die Wahl: Konversion oder Vertreibung. Die Konvertiten bezeichnete man als «Cristianos Nuevos», als «neue Christen». Viele von denen, die sich dafür entschieden zu bleiben, waren Grundbesitzer und erfolgreiche Kaufleute. Sie hatten viel zu verlieren. Also akzeptierten sie das Kreuz. Manche unterwarfen sich widerwillig dem neuen Glauben, andere wollten die Religion ihrer Geburt und ihre Rituale nicht aufgeben und befolgten die Gesetze ihres eigenen Glaubens weiterhin in der Abgeschiedenheit ihrer Häuser. Einige der hartnäckigeren Marranos besuchten sogar geheime Synagogen.
    Die Inquisition nahm bald auch öffentliche Gebäude in Besitz. Wer zur Befragung dorthin gebracht wurde, kam auf das Streckbett, wo man ihm Arme und Beine lang zog. Die Inquisitoren schienen eine Schwäche für die Fußsohlen ihrer Opfer zu haben; sie zerschlugen sie mit Knüppeln, oder sie schnitten sie auf, bestrichen die Wunden mit Butter und hielten sie über offene Feuer. Gefälschte Gerichtsurteile und erfundene Anklagen führten zu erzwungenen Geständnissen. Diejenigen, die freiwillig gestanden, durften eine Buße zahlen und mussten in einem auto-de-fé , einem «Glaubensakt», öffentlich bereuen. Wer erst unter der Folter gestand, wurde enteignet und zu – oft lebenslanger – Kerkerhaft verurteilt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
    Die Cristianos Nuevos schickten Gesandte nach Rom, die den Papst und seine Komplizen beschwören – und bestechen – sollten, damit er die Inquisitoren zurückpfiff. Der König bezahlte noch mehr, um Rom auf seiner Seite zu halten. Und während Ströme von Geld in den Vatikan flossen, lebten die Marranos weiterhin in Angst und Schrecken. Sie mussten sich entscheiden: Entweder konnten sie das Land verlassen und alles verlieren oder riskieren, dass sie eines Tages in den Folterkammern landeten.
    Isaac hatte sich entschieden zu bleiben. Und die Folterkammer, die ihn jahrelang in seinen Albträumen verfolgt hatte, sollte jetzt seine letzte Heimstatt werden.
    «Ich wusste es nicht, Isaac», sagte der junge Mann. «Ich wusste nicht, dass sie hinter dir her waren.»
    «Es ist schon gut, Sebastian.»
    «Nein!», fuhr er auf, und seine Stimme war brüchig vor Erregung. «Sie sagen, sie hätten Bücher in deinem Besitz gefunden. Sie sagen, sie hätten schriftliches Beweismaterial, Geständnisse von Leuten, die dich kennen und die ihre Anklage bestätigen. Was kann ich denn tun, Isaac? Bitte sag mir etwas, irgendetwas, das ich verwenden kann, um dieses schreckliche Unrecht ungeschehen zu machen.»
    Sebastian Guerreiro hatte den Weg des Herrn mit freudigem Herzen beschritten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er ihn hierherführen würde. Seit etwas mehr als einem Jahr stand er im Dienst der Inquisition. Der Großinquisitor selbst, Francisco Pedroso, ein charismatischer, energischer Mann, hatte ihn auserwählt. Aber mit jedem Tag, mit jedem Grauen, das er zu Gesicht bekam, waren die Fragen im Herzen des jungen Mannes drängender geworden, und inzwischen war es ihm unmöglich, die Lehren, denen er so getreulich angehangen hatte, mit den Taten seiner Mentoren in Einklang zu bringen.
    «Sschh», erwiderte der alte Mann. «Du weißt, dass man nichts tun kann. Außerdem sind die Vorwürfe wahr. Mein Vater hat mich meinen Glauben gelehrt, so wie er ihn von seinem Vater gelernt hatte. Und wären die Vorwürfe nicht wahr – hundertzwanzig Morgen Land in Tomar würden genügen, um sie doch wahr zu machen.» Isaac räusperte sich und schaute zu Sebastian auf. Seine Augen funkelten lebendig und wollten nicht zu seinem zerschlagenen Körper passen. «Nicht deshalb habe ich darum gebeten, dass man dich herbringt. Bitte. Setz dich zu mir.» Er klopfte auf den strohbedeckten Boden

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