Immortalis
aufschwang. Die Öffnung sah aus wie der Eingang zu einer Höhle, wie die Pforte zu einem finsteren Abgrund. Sebastian blickte den Wächter an. Der schwitzende Mann nickte ungerührt. Sebastian wappnete sich; er nahm eine Fackel aus einer Halterung an der Wand, zündete sie an der des Wächters an und trat durch die Tür.
Trotz der höllischen Umgebung war ihm die schattenhafte Gestalt, die da in einer dunklen Ecke kauerte, sofort vertraut. Sebastian erstarrte bei ihrem Anblick, und grenzenlose Traurigkeit erfasste ihn.
«Es ist schon gut», sagte der alte Mann. «Komm her.»
Sebastian rührte sich nicht. Es war, als seien seine Füße am kalten Steinboden festgeschraubt.
«Bitte», flüsterte der alte Mann; seine Stimme klang heiser und trocken. «Komm her. Setz dich zu mir.»
Zögernd tat Sebastian einen Schritt auf ihn zu, dann noch einen. Er wagte kaum, ihn anzublicken.
Der zerschlagene, zerstörte Mann hob einen verdrehten Arm an einer Kette und winkte ihn heran. Zwei seiner Finger bewegten sich nicht, und der Daumen fehlte.
Isaac Montalto war ein guter Mann. Er war eng mit Sebastians Vater befreundet gewesen. Beide waren gebildete Männer, Lehrer und Ratgeber der Elite. Sie hatten jahrelang in der großen Stadt Lissabon zusammengearbeitet und lange vergessene arabische und griechische Schriften übersetzt. Ein winziger Eindringling hatte alldem ein Ende gemacht: ein Virus. Eine unbedeutende Grippe hatte die Stadt in jenem Winter gnadenlos verwüstet und auch Sebastians Familie dahingerafft. Der kleine Junge hatte überlebt, denn sein Vater hatte schnell gehandelt und ihn in die Obhut seines Freundes Isaac im nahe gelegenen Tomar gegeben, als die ersten Anzeichen der Krankheit in der eigenen Familie auftraten. Isaac und seine Frau hatten das Kind versorgt, so gut es in den ersten paar Wochen ging. Doch dann war Isaacs Frau selbst krank geworden. Dem alten Mann war nichts anderes übriggeblieben, als Sebastian zu den Mönchen im Kloster von Tomar zu geben. Auch Isaacs Frau hatte den Winter nicht überstanden, aber er selbst und Sebastian hatten überlebt.
Als Witwer hatte Isaac das kleine Kind nicht bei sich behalten können, also zogen die Mönche ihn zusammen mit ihren anderen Waisen auf. Aber Isaac war nie weit weg. Er war Freund und Mentor, und er hatte ein wachsames Auge auf das Kind, als es zum Knaben heranwuchs und dann zu dem jungen Mann wurde, der er heute war. Schweren Herzens hatte er ihn ziehen lassen, als der Junge auserwählt worden war, Gott in den Kreuzgängen der Kathedrale von Lissabon zu dienen. Aber das war inzwischen drei lange Jahre her. Jetzt war er hier, ein Opfer der Inquisition, ein fahles, zerschundenes Abbild des Mannes, der er einmal gewesen war.
«Isaac», sagte Sebastian, und seine Stimme war voller Trauer und Mitleid. «Mein Gott …»
«Ja», wisperte Isaac und hustete gequält. Der Schmerz in seiner Brust ließ seine Augen schmal werden. «Dein Gott …» Er schluckte angestrengt und nickte bei sich. «Er muss sehr stolz sein, zu sehen, wie weit seine Diener zu gehen bereit sind, um dafür zu sorgen, dass sein Wort befolgt wird.»
«Ganz sicher hat er so etwas nie gewollt», sagte Sebastian.
Irgendwie fand die Andeutung eines Lächelns den Weg in die Augen des alten Mannes. «Vorsicht, mein lieber Junge», warnte er. «Solche Worte könnten dich leicht in die Nachbarzelle bringen.»
Die Inquisition hatte die Iberische Halbinsel seit mehr als zweihundert Jahren in ihren Klauen. Wie in Spanien strebte sie auch in Portugal danach, Konvertiten aus anderen Religionen auszumerzen – Muslime und Juden –, die zwar behaupteten, den katholischen Glauben angenommen zu haben, insgeheim aber weiter ihren alten Überzeugungen anhingen.
Das war nicht immer so gewesen. Die Reconquista – die Rückeroberung Spaniens und Portugals von den Mauren, die im elften Jahrhundert begann – hatte eine tolerante, multiethnische und multireligiöse Gesellschaft entstehen lassen. Christen, Juden und Muslime hatten friedlich zusammengelebt und -gearbeitet. In Städten wie Toledo hatten sie gemeinsam Texte übersetzt, die jahrhundertelang in Kirchen und Moscheen verborgen gewesen waren. Griechische Gelehrsamkeit, die im Westen lange Zeit verloren gewesen war, wurde neu entdeckt, und die Universitäten von Paris, Bologna und Oxford gründeten ihre Lehre auf sie. Es war der eigentliche Anfang der Renaissance und der wissenschaftlichen Revolution gewesen.
Aber die religiöse Großzügigkeit
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