Immortalis
zurückzuverfolgen war nicht einfach. Sebastians Vater und Isaac hatten jahrelang daran gearbeitet, aber sie hatten lediglich in Erfahrung bringen können, dass das Buch zu einem Bestand von mehreren Kisten mit Kodizes und Schriftrollen gehört hatte, die nach dem Fall von Akko im Jahre 1291 den Weg nach Tomar gefunden hatten.
Die Texte waren von den Templern bei ihren Streifzügen durch das Heilige Land gesammelt worden, die das mystische Wissen ihrer muslimischen Feinde erkundet hatten, lange bevor der Orden bei Papst Klemens V. im Jahre 1312 in Ungnade gefallen war. Nach den Verhaftungen der Tempelritter in Frankreich wurde ihr europäischer Besitz befehlsgemäß an den Orden des heiligen Johannes vom Hospital übergeben, also an die Hospitaliter. Provinzräte durften auch lokal über die Tempelritter zu Gericht sitzen. In Spanien indessen trat der Rat von Tarragona zusammen – geleitet vom Erzbischof Rocaberti, ein Freund der Soldatenmönche vom Templerorden. Der Rat befand die katalanisch-aragonischen Tempelritter, diejenigen von Mallorca und aus dem Königreich Valencia für unschuldig. Der Orden sollte zwar aufgelöst werden, aber die Brüder durften in ihren Klöstern bleiben und eine lebenslange Rente beziehen.
Jakob II., der König von Aragon, der kein Interesse daran hatte, dass die Reichtümer der Templer in den Truhen der zunehmend mächtigen Hospitaliter landeten, gründete einen neuen Orden, den Orden von Montesa, um den Templerorden darin zu integrieren. Die Mitglieder des neuen Ordens sollten die Regel des etablierten Ordens von Calatrava befolgen, der ebenfalls ein Zisterzienserorden war und einer ganz ähnlichen Ordnung unterlag wie die Templer. Sie konnten ihren Besitz behalten und das Königreich vor den Muslimen in Granada, der letzten Bastion des Islam auf der Iberischen Halbinsel, beschützen.
König Dinis von Portugal hatte nicht vergessen, welch großen Beitrag die Templer bei der Bezwingung der Mauren geleistet hatten. Geschickt verteidigte er das Vermächtnis des Ordens. Nachdem er in aller Stille ihre Besitztümer konfisziert hatte, wartete er ab, bis der Nachfolger Papst Klemens’ V. gewählt war. Er überredete den neuen Papst, die Gründung eines Ordens zu genehmigen, den er schlicht den Orden Christi nennen wollte. Im Grunde änderte der Templerorden damit nur seinen Namen. Die kastilisch-portugiesischen Templer wurden nicht einmal vernommen, geschweige denn vor Gericht gestellt. Sie wurden zu Mitgliedern des neuen Ordens, erklärten sich ebenfalls bereit, die Regel des Ordens von Calatrava zu befolgen, und machten weiter wie bisher.
Die Burg von Tomar war das Hauptquartier der Templer in Portugal gewesen, und sie blieb es auch für den neuen Orden. Das hoch aufragende Bauwerk von erstaunlicher architektonischer Schönheit war auf der ganzen Halbinsel berühmt für seine kunstvollen gotischen, romanischen und manuelinischen Steinmetzarbeiten und Motive. Im Laufe der Jahre waren ein Konvent und ein Kloster hinzugefügt worden, das Convento de Cristo.
Isaac hatte Sebastian erzählt, aus den Aufzeichnungen der Templer sei hervorgegangen, dass die Truhe mit dem beschädigten Kodex aus der Levante gekommen sei. Weitere Einzelheiten über ihre Herkunft waren jedoch kaum noch zu ermitteln. Die Dokumente der portugiesischen Templer wieder ans Licht zu befördern, war eine schwierige Aufgabe, denn man hatte sich bemüht, jeden schriftlichen Hinweis darauf, dass die Templer sich dereinst in den Orden Christi verwandelt hatten, zu verbergen.
Es gab Krypten und Bibliotheken, zu denen Isaac und Sebastians Vater keinen Zugang gehabt hatten. Sebastian dagegen, als Angehöriger der Inquisition, hatte ihn. Also begann der junge Mann, in der Hoffnung, mehr über die nebulöse Herkunft des Kodex zu erfahren, mit großer Sorgfalt und Diskretion die verborgenen Archive der Kirche zu durchforschen.
Er verbrachte viele Stunden in den Archiven des Torre de Lumbo in Lissabon. Er besuchte die alten Burgen und Kirchen der Templer in Longroiva und Pombal und las sich durch uralte Schenkungsurkunden, Konzessionen, Protokolle und Gesetzbücher. Er suchte nach Hinweisen, die entweder den Inhalt der fehlenden Seiten erhellen oder ihm verraten würden, wo vielleicht eine Kopie des Buches zu finden war. Er ritt hinaus zur Burg Almourol, die die Templer auf einer kleinen Insel mitten im Tejo erbaut hatten. Gerüchten zufolge spukte hier der Geist einer Prinzessin, die sich nach der Rückkehr ihres
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