Immortalis
politischen Hintergrund hatte – das war ihm von Anfang an ziemlich klar gewesen. Dass er jetzt hier in der Wohnung der Entführten stand, war darauf zurückzuführen, dass er in der Botschaft und bei seinen CIA-Kollegen als Irak-Spezialist bekannt war. Deshalb landete alles, was irgendwie mit diesem Land zu tun hatte, unweigerlich auf seinem Schreibtisch. Deshalb hatte Baumhoff ihm – anfangs in ziemlich arrogantem Ton – am Morgen von Evelyns Entführung berichtet und ihm die Polaroids gezeigt.
Die Spur, die in jenem unterirdischen Labor im Irak begonnen hatte, war seit mehr als drei Jahren kalt geblieben. Er war seitdem in anderen Ländern gewesen und hatte unterschiedliche Aufträge ausgeführt, aber er hatte diesen mysteriösen Fall immer aufmerksam im Auge behalten und darauf gehofft, dass es ihm nicht entgehen würde, wenn ein Hinweis, eine Andeutung oder sonst irgendetwas auftauchen sollte. Jetzt zahlte sich sein sorgfältiges Engagement aus. Mit etwas Glück würde die Spur vielleicht – ganz vielleicht – wieder wärmer werden.
Das Leben nahm manchmal unerwartete Wendungen. Er war lange genug dabei, um das zu wissen.
Er sah Mia am Fenster stehen und ging hinüber zu dem Eichenholzschreibtisch in der hinteren Ecke des Zimmers, auf dem sich Akten, Lehrbücher und Seminarmaterialien stapelten. Corben interessierte sich aber mehr für den Laptop. Als er ihn abstöpselte, fiel sein Blick auf Evelyns dicken, verschlissenen Terminplaner. Er lag aufgeschlagen da, und die beiden offenen Seiten zeigten die laufende Woche. Darauf lag eine etwas abgegriffene, altmodische Visitenkarte. Er nahm sie in die Hand. Es war die Karte eines Archäologen aus Rhode Island. Er legte sie als Lesezeichen in den Terminkalender, klappte ihn zu und legte ihn auf den Laptop. Er würde beides in Ruhe durchsehen.
Unter dem Terminplaner entdeckte er einen alten Aktenordner, der ebenfalls sein Interesse weckte. Er zog ihn zu sich heran. Dass er auf dem Schreibtisch zuoberst lag, ließ vermuten, dass Evelyn ihn benutzt hatte, bevor sie am Abend zuvor ihre Wohnung verlassen hatte. Ein Adrenalinstoß schoss durch seine Adern, als er den Ordner aufklappte. Die erste Seite zeigte einen Holzschnitt. Eine schwanzfressende Schlange!
Aber im selben Moment riss ihn Mias Aufschrei jäh aus seinen Gedanken.
«Das sind sie», stammelte sie und drehte sich zu Corben um. Angst stand in ihren Augen. «Sie sind hier.»
Corben stürzte zum Fenster und schaute hinaus. Mia deutete auf drei Männer, die den Gehweg hinunter zum Hoteleingang gingen. Das Blut war aus ihrem Gesicht gewichen.
«Sie wollen zu mir», rief sie.
«Das sind die Kerle, die Sie gestern Abend gesehen haben?»
Mia nickte. «Der da in der Mitte, das ist der Freak aus der Hotelbar. Ich glaube, der linke war dabei, als sie Mom durch die Stadt gefolgt sind. Bei dem dritten bin ich nicht sicher.»
Corben taxierte die drei Männer. Sein trainiertes Auge erfasste kaum sichtbare Hinweise in ihrer Körpersprache, die den mittleren Mann als Anführer der Bande kennzeichneten. Sie gingen hintereinander über den schmalen Gehweg, warfen diskrete Blicke nach allen Seiten und behielten ihre Umgebung genau im Auge. Er suchte nach Anzeichen für Waffen. Noch vom zweiten Stock aus erkannte sein geübter Blick eine verräterische Wölbung unter dem Jackett des ersten Mannes.
Mia starrte sie wie gebannt an. «Werden sie einfach in das Hotel hineinspazieren und nach mir suchen? Das können sie? Am helllichten Tag?»
«Das können sie, wenn sie Ausweise der Inneren Sicherheit haben. Was gut möglich wäre. Jede Miliz hat ihre eigenen Agenten.» Doch etwas anderes beunruhigte ihn weit mehr. Er zog sein Handy hervor und drückte auf eine Kurzwahltaste.
Er hatte ein rundes Dutzend einheimische «Kontakte» – überwiegend ehemalige Milizangehörige mit eigenen «zuverlässigen Kreisen» und ein paar ehemalige sowie aktive Offiziere des libanesischen militärischen Geheimdienstes –, die er zur Unterstützung rufen konnte, wenn es nötig war. Jeder dieser Kontakte hatte seinen eigenen Einflussbereich und war auf einem bestimmten Gebiet besonders nützlich.
Nach dem zweiten Klingeln meldete sich ein Mann.
«Corben hier», sagte er knapp. «Ich brauche Unterstützung am Commodore. Da sind drei Mann im Anmarsch, vielleicht mehr. Sie sind bewaffnet.» Er schaute aus dem Fenster. «Moment mal.»
Die drei Männer dort unten hatten den Hoteleingang erreicht.
Sie gingen nicht hinein.
Sie schauten
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