Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
Vom Netzwerk:
wieder. «Ich höre, da war noch eine andere Frau im Spiel. Was wissen wir über sie?»
    «Mia Bishop», sagte Corben. «Sie ist die Tochter.»

27
    Das Wohnzimmer lag im weichen Glanz der Abenddämmerung, als Mia auf Corbens Sofa erwachte. Sie blinzelte und blickte einen Moment lang verwirrt in die ungewohnte Umgebung, aber dann stürzte alles wieder auf sie ein. Langsam richtete sie sich auf und wischte sich den Schlaf aus dem Gesicht. Dann stemmte sie sich vom Sofa hoch, tappte hinüber zur Glastür und hinaus auf den Balkon.
    Die Gebäude auf der anderen Straßenseite waren gleichförmig grau und sahen so matt und müde aus, wie sie sich fühlte. Viele der Balkone waren ungenehmigt verglast worden, um Außenterrassen in Innenräume zu verwandeln. So gut wie jede Fassade trug die Narben von Granatsplittern und Kugeln. Wälder von Fernsehantennen wuchsen auf den Dächern, und darüber spannte sich ein Spinnennetz aus Telefon- und Stromkabeln. Das Ganze sah behelfsmäßig zusammengeflickt aus. Unter streng ästhetischen Gesichtspunkten war die Stadt überhaupt nicht attraktiv, aber gegen alle Erwartung und Logik bezauberte sie jeden, der sie besuchte. Auch Mia.
    Sie duschte kurz und war gerade dabei, sich abzutrocknen, als sie an der Wohnungstür ein Geräusch hörte. Sie erstarrte und lauschte angestrengt. Dann wickelte sie sich hastig in ein Badelaken und schlich sich an die Badezimmertür, schob sie einen Spaltbreit auf und spähte hinaus. Die Wohnungstür konnte sie von hier aus nicht sehen. Ihr Gehirn lief auf Hochtouren. Sollte sie sich im Badezimmer verbarrikadieren? Keine gute Idee. Das Bad hatte keine Fenster. Sollte sie in eins der Schlafzimmer hinüberhuschen, die Zugang zum Balkon hatten? Nicht besonders hilfreich, denn die Wohnung lag im fünften Stock, und sie hatte keine Lust auf eine zweite Hochseilnummer. Jetzt klickte die Verriegelung, und die Tür öffnete sich knarrend. Einen Augenblick lang standen ihr die Haare zu Berge. Dann hallte Corbens Stimme durch die Wohnung.
    «Mia?»
    Sie schloss die Augen und atmete erleichtert aus, und sie tadelte sich im Stillen, weil sie ihre Phantasie so hatte Amok laufen lassen. «Komme sofort», rief sie und gab sich alle Mühe, so unaufgeregt wie möglich zu klingen.
    Als sie sich angezogen hatte, fand sie Corben in der Küche. Er hatte ihr Handy mitgebracht. Sie schaltete es ein und sah, dass sie zwei Nachrichten hatte. Allmählich sickerte durch, dass Evelyn die entführte Frau aus den Nachrichten war. Die erste Nachricht war vom Projektleiter ihrer Stiftung. Die zweite kam von Mike Boustany, dem ortsansässigen Historiker, der im Projekt mit ihr zusammenarbeitete und den sie inzwischen ein bisschen kennengelernt hatte. Sie musste beide zurückrufen und ihnen erklären, was passiert war, aber das hatte Zeit bis zum nächsten Morgen. Sie wusste, dass noch weitere besorgte Freunde und Kollegen anrufen würden, deshalb stellte sie die Umleitung auf die Mailbox ein. Die Einzige, mit der sie sprechen würde, war ihre Tante in Boston. Zuerst wollte sie ausführlich mit Corben über alles reden. Er hatte etwas zu essen mitgebracht, und sie hatte einen Bärenhunger.
    Sie stellten die Alu-Schüsseln im Wohnzimmer auf den Couchtisch – Lamm- kafta -Spieße, Hummus und andere kleine Speisen – und setzten sich mit gekreuzten Beinen auf Kissen. Dann machten sie sich über das Essen her und tranken dazu kaltes Almaza-Bier. Wie überall am Mittelmeer war essen auch in Beirut eine aufwendige Veranstaltung mit delikat zubereiteten Gerichten. Mia ergab sich dem therapeutischen Zauber von Speisen und Bier und plauderte entspannt mit Corben über das Essen. Sie genoss die Erholung nach dem atemlosen Irrsinn des letzten Tages ebenso wie seine Gesellschaft, das spürte sie bald, auch wenn ihr Gespräch sich ausschließlich um oberflächliche Themen drehte. Sie hatte nichts dagegen. Eine solche Unterhaltung war eine willkommene Entspannung. Aber als die Schalen sich leerten und das goldene Licht der Abenddämmerung verblasste, verblasste auch die Fassade der Harmlosigkeit, die das köstliche Mahl umgab. Der tausend Pfund schwere Gorilla Angst, der in einer dunklen Ecke seines Käfigs gelauert hatte, rüttelte nun an den Gitterstäben und verlangte lautstark nach Aufmerksamkeit.
    Sie hatte die Zeit, die sie allein verbracht hatte, dazu genutzt, zu überdenken, was passiert war, alles, was sie gesehen und gehört hatte. Sie hatte eine Menge davon nicht verstanden. «Jim», fragte

Weitere Kostenlose Bücher