Immortalis
libanesische Soldaten patrouillierten in dem Kiefernwald hinter dem Botschaftsgelände und vorn vor dem Tor.
Diese Vorsichtsmaßnahmen waren notwendig, aber niemand machte sich Illusionen über ihre Wirksamkeit. Wenn irgendeine verrückte politische Gruppierung entscheiden würde, die Botschaft anzugreifen, würde keine Barrikade das verhindern können. Jeder, der hier arbeitete, wusste das, auch der Mann im Fadenkreuz, der Botschafter selbst. Corben hatte erlebt, wie unterschiedlich die Leute mit dieser wenig beneidenswerten Position umgingen. Der jetzige Botschafter, das musste man ihm lassen, nahm es mit bewundernswertem Gleichmut hin.
Als Corben hereinkam, saß bei dem Botschafter ein Mann, den er nicht kannte. Der Mann stand sofort auf und stellte sich als Bill Kirkwood vor. Er hatte einen festen Händedruck und einen scharfen Blick und machte einen sympathischen Eindruck. Er war so groß wie Corben und schien relativ gut in Form zu sein. Corben schätzte, dass er ein paar Jahre älter war als er selbst, also ungefähr vierzig.
«Bill ist heute Nachmittag aus Amman eingeflogen», erklärte der Botschafter. «Er ist wegen der Bishop-Sache hier.»
Corben war überrascht. Das kam für seinen Geschmack ein bisschen zu plötzlich. «Wieso interessieren Sie sich dafür?», fragte er Kirkwood.
«Ich habe Evelyn Bishop vor ein paar Jahren kennengelernt. Ich arbeite in der Kulturerbe-Abteilung der UNESCO, und Evelyn hat hier für uns gegen die Immobiliengeschäfte in der Beiruter Innenstadt gekämpft. Sie ist ein ziemlicher Wirbelwind. So jemanden vergisst man nicht so schnell», fügte Kirkwood mit liebenswürdigem Lächeln hinzu. «Danach haben wir ein paar ihrer Projekte finanziell unterstützt.»
Corben sah den Botschafter fragend an.
«Bill macht sich Sorgen», sagte der Botschafter. «Aus persönlichen wie auch aus dienstlichen Gründen.» Kirkwood fuhr fort:
«Mein Hauptinteresse gilt natürlich Evelyns Wohlergehen. Das steht an oberster Stelle. Wir achten und schätzen sie, und ich wollte sicher sein, dass alles getan wird, damit wir sie schnell und unversehrt zurückbekommen», erläuterte Kirkwood. «Dazu kommt», fuhr er dann zögernd fort, «dass es uns natürlich Sorgen macht, wenn eine unserer angesehensten und prominentesten Expertinnen in den Verdacht kommt, Antiquitäten zu schmuggeln. Die Presse wird sich darauf stürzen, und wenn ich es recht verstehe, möchten die libanesischen Behörden den Fall so darstellen.» Er warf dem Botschafter einen fragenden Blick zu, ehe er weiterredete. «Ich kann nur annehmen, dass wir nicht allzu abgeneigt sind, mit ihnen d’accord zu gehen.»
«Wir müssen die Vor- und Nachteile abwägen», antwortete der Botschafter mit der beherrschten Zurückhaltung des erfahrenen Profis. «Der Libanon befindet sich zurzeit in einer heiklen Lage. Eine Amerikanerin, eine ältere Frau zumal, wird ohne ersichtlichen Grund auf offener Straße entführt. Das wird man zweifellos als antiwestlichen Terrorakt auffassen. Und das Timing könnte nicht schlechter sein. Die Leute hier sind verzweifelt darauf bedacht, ein Image von Frieden und Normalität zu erhalten, das sie nach Jahren des Chaos eben erst wiederherstellen konnten. Und nach dem, was im Sommer passiert ist, braucht das Land mehr denn je ausländische Kapitalinvestitionen. Der Premierminister und der Innenminister haben mich deshalb beide schon angerufen. Sie sind in Panik. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass die Außenwahrnehmung ein entscheidender Aspekt ist, wenn es um die Beschaffung von Investoren geht, und wenn so etwas aus dem Ruder läuft und zur Nachahmung anregt …»
«Während eine Schmugglerin, die in irgendwelche schmutzigen Geschäfte verwickelt ist, nicht auf politische Instabilität verweist und deshalb sehr viel leichter abgetan werden kann», bemerkte Kirkwood mit leisem Sarkasmus und wandte sich dann an Corben. «Sie sehen, womit wir es hier zu tun haben.»
«Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein gutes Licht auf Ihre Organisation werfen würde, wenn man sie als Schmugglerin vorführte», erwiderte Corben.
Kirkwood dachte über diesen Einwand nach und nickte dann betreten. «Natürlich nicht. Ich bestreite nicht, dass uns sehr daran gelegen ist, den Makel einer solchen Verbindung zu vermeiden. Die Organisation genießt im Kongress nicht gerade vorbehaltlose Unterstützung. Es ist uns erst vor kurzem gelungen, ihr als Staat wieder beizutreten, und das war nicht eben einfach.» Tatsächlich
Weitere Kostenlose Bücher