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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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sein.
    Es gibt keine andere. Ich wünschte, es wäre so einfach. Ich kann nicht darüber sprechen. Aber du sollst eines wissen: Wenn es irgendeine Möglichkeit auf der Welt gäbe, mit dir zusammenzubleiben, dann würde ich es tun.
    Und dann war er fort gewesen.
    Er hatte sie verlassen, und ihr war die wenig beneidenswerte Aufgabe geblieben, ihr Leben weiterzuführen und ihn zu vergessen, sich mit einer Trennung abzufinden, die durch den schlichten Umstand, dass sie unerklärt war, noch unerträglicher gemacht wurde. Und sie hatte sein Kind aufziehen müssen, ein Kind, von dem er nichts wusste. Ein Kind, das sie jahrelang belogen hatte. Ein kleines Mädchen, dessen Vater gestorben war. So hatte sie es ihr erzählt.
    Mit dieser Lüge hatte sie nun dreißig Jahre lang gelebt, und auch noch nach so langer Zeit legte sich die Trauer wie eine Klaue um ihre Brust, wenn sie nur daran dachte. Es war ihr schwergefallen, aber sie wusste, Mia hätte sich auf die Suche nach ihrem Vater gemacht, wenn sie gewusst hätte, dass er noch lebte, und das hatte Evelyn nicht gewollt. Er hatte sich sehr klar ausgedrückt. Und sie hatte Mia eine schmerzhafte Enttäuschung ersparen wollen.
    Zumindest das hatte sie dem Mann verheimlichen können. Vor allem durfte sie ihn nicht wissen lassen, dass Mia Toms Tochter war. Dann wäre er jetzt auch hinter Mia her, eine unerträgliche Vorstellung!
    Kleine Triumphe. Das Einzige, woran sie sich jetzt festhalten konnte.
    Etwas auf der anderen Seite der Zellentür ließ sie aufhorchen. Ein Geräusch. Mühsame Bewegungen, schlurfende Schritte auf dem Steinboden.
    Sie schlich sich an die Tür und versuchte, durch das verspiegelte Fenster zu spähen, aber sie sah nur das harte Abbild ihres eigenen Gesichts. Sie presste ein Ohr an die Tür und lauschte angestrengt. Eine Tür wurde aufgeschlossen, dann hörte sie, wie sich etwas bewegte. Ein Schrei jagte ihr einen Schauer über den Rücken, der Schrei eines Kindes, ein gequältes, flehentliches Heulen. Auf dieses gespenstische Geräusch folgte das wütende Kläffen einer Männerstimme, der Befehl, still zu sein – «Khrass, wlaa!» –, ein Klatschen und ein weiterer Aufschrei. Sie hörte noch ein leises Wimmern, und dann wurde eine Tür zugeschlagen und ein Riegel vorgeschoben.
    Sie wartete eine Minute, bis der Mann sich entfernt hatte. Sie zählte die Sekunden, und das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie sich fragte, ob sie versuchen sollte, mit dem anderen Gefangenen Kontakt aufzunehmen. Ob es wirklich noch mehr Gefangene gab? Sie hatte keine Ahnung. Der Mann, der sie in ihre Zelle gebracht hatte, hatte ihr ein schwarzes Tuch über den Kopf gelegt und es erst drinnen abgenommen. Sie wusste nicht, was hinter dieser Tür lag. Und der Gedanke, die Möglichkeit, dass noch andere hier festgehalten wurden, jagte ihr noch mehr Angst ein.
    Sie beschloss, es zu riskieren.
    «Hallo? Ist jemand da?» Ihr Flüstern hallte durch die Stille.
    Niemand antwortete.
    Sie fragte noch einmal, lauter, verzweifelter. Keine Antwort.
    Ihr war, als höre sie ein leises Wimmern in der Ferne, aber sie war sich nicht sicher. Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren und übertönte alles andere.
    Sie wartete eine Weile und versuchte es dann noch einmal, aber es blieb totenstill. Fröstelnd und entmutigt sank sie zu Boden und schlug die Hände vor das Gesicht. Sie versuchte den Albtraum zu begreifen, der da über sie gekommen war.
    Ihre Gedanken kehrten zurück zu dem Gesicht des Mannes im Arztkittel, und sie sah ihn vor sich, wie er sie beobachtete und ihrer Geschichte zuhörte. Sein Interesse war erwacht, als sie von Tom gesprochen hatte. Er hatte ihr alle möglichen Fragen über ihn gestellt. Er hatte sich Notizen gemacht und genickt, während sie erzählte. Sie hätte Tom heraushalten sollen, aber realistisch betrachtet hatte sie kaum etwas gegen den Strom ihrer Worte tun können. Dafür hatten die Flammen gesorgt, die durch ihren Körper rasten.
    Mia war vorläufig in Sicherheit, das hoffte sie wenigstens, aber Evelyn wusste, dass ihr Peiniger keine Mühe scheuen würde, um Tom Webster zu finden. Und zusammen mit diesem beunruhigenden Gedanken erwachte eine zweite, noch schlimmere Sorge: Würde sie Mia jemals wiedersehen?

26
    Das Büro des Botschafters lag im hinteren Teil des Hauptgebäudes, in der Villa, so weit wie möglich entfernt von der Einfahrt zum Gelände, von der Außenwelt abgeschottet durch bombensichere Türen und dicke, kugelfeste Fenster. US-Marines und

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