Imperator 01 - Die Tore von Rom
Rand der breiten Mauer.
»Was tut er da?«, murmelte er vor sich hin. Er sah Sullas Legion, die sich bis in weite Ferne erstreckte und nicht mehr als ein paar Hundert Schritte von dem Tor entfernt, das zur Via Sacra hinausführte, stehen geblieben war. Um ihn herum warteten seine Männer, nicht weniger angespannt als er selbst.
»Sie stehen gerade außer Schussweite, Legat«, bemerkte ein Zenturio.
Marius musste sich beherrschen, um nicht aufzubrausen. »Ich weiß. Sobald sie näher kommen, nehmt sie sofort unter Feuer. Lasst alles auf sie niederregnen, was wir haben. In dieser Formation werden sie die Stadt niemals einnehmen.«
Es ergab einfach keinen Sinn! Nur eine breite Front hatte eine Chance gegen einen gut vorbereiteten Feind. Die Marschformation mit der schmalen Spitze war keinesfalls in der Lage, die Verteidigung zu durchbrechen. Zornig ballte er die Fäuste. Was hatte er übersehen?
»Gib Signal, sobald sich etwas verändert«, befahl er dem Abschnittskommandeur und ging durch die Reihen der Soldaten zurück zu der Treppe, die hinab auf die Straße und in die Stadt führte.
Julius, Cabera und Tubruk warteten geduldig auf Marius und sahen zu, wie er sich mit seinen Ratgebern unterhielt, die ihm, dem Kopfschütteln nach zu urteilen, nichts Neues zu berichten wussten. Tubruk löste seinen Gladius in der Scheide und spürte wieder jenes leichte Nervenflattern, das sich immer vor einem Blutvergießen einstellte. Es lag in der Luft, und er war froh, dass er den ganzen heißen Tag über hier geblieben war. Gaius, nein, jetzt hieß er ja Julius, hätte ihn beinahe zum Gut zurückgeschickt, doch etwas im Blick des ehemaligen Gladiators hatte ihn davon abgehalten.
Julius wünschte, die Gruppe von Freunden wäre komplett. Wie gut hätte er jetzt Renius’ Ratschläge und Marcus’ eigenwilligen Humor gebrauchen können. Abgesehen davon gab es wenige, die man sich eher an seiner Seite wünschen könnte, falls es wirklich zum Kampf kam. Auch er löste seine Klinge und ließ sie ein paarmal gegen den Metallrand der Scheide klappern, damit er sie jederzeit ungehindert ziehen konnte. Es war schon das fünfte Mal innerhalb von ebenso viel Minuten, dass er das tat, und Cabera schlug ihm kräftig auf die Schulter, was ihn ein wenig zusammenzucken ließ.
»Soldaten beschweren sich immer über die Warterei. Mir persönlich ist sie lieber als das Gemetzel selbst.« Tatsächlich spürte er, wie ihn die verschlungenen Pfade der Zukunft heftig bedrängten; er war gefangen zwischen dem Wunsch, Julius in Sicherheit zu bringen, und dem Verlangen, auf die Mauer zu steigen, um beim ersten Angriff dabei zu sein! Hauptsache, all die Möglichkeiten lösten sich in einfache Geschehnisse auf!
Julius betrachtete die Mauern, prägte sich die Anzahl und die Positionen der Männer ein, die reibungslosen Wachwechsel und das Überprüfen der Wurfmaschinen und Speerschleudern. In den Straßen war alles ruhig. Rom hielt den Atem an. Trotzdem rührte oder veränderte sich draußen nichts. Marius stapfte hin und her und brüllte Befehle, die er besser seinen verdienstvollen Männern weiter unten in der Befehlskette überlassen hätte. Allem Anschein nach wirkte sich die Anspannung sogar auf ihn aus.
Die endlosen Läuferketten kamen endlich zur Ruhe. Kein Wasser wurde mehr herangeschleppt, sämtliche Vorräte an Pfeilen und anderer Munition befanden sich an Ort und Stelle. Nur die eiligen Schritte eines Boten von einem anderen Mauerabschnitt unterbrachen alle paar Minuten die Stille. Julius sah die Besorgnis in Marius’ Gesicht, die sich bei den Nachrichten, dass auch sonst nirgendwo ein Angriff erfolgt war, fast noch verstärkte. Würde Sulla tatsächlich seinen Hals riskieren, indem er offiziell Zugang zur Stadt forderte? Sein Mut würde sicherlich viele Bewunderer gewinnen, wenn er selbst bis vor das Tor kam, doch Julius war sicher, dass Sulla selbst ziemlich bald tot sein würde, niedergestreckt von einem »versehentlich« abgeschossenen Pfeil. Marius würde eine so gefährliche Schlange nicht am Leben lassen, wenn sie sich bis auf Schussweite heranwagte.
Ein vermummter Bote, der sich an ihm vorbeidrängte, riss ihn aus seinen Gedanken. Genau in diesem Augenblick veränderte sich alles. Mit aufkeimendem Entsetzen sah Julius, wie die Männer auf dem am nächsten gelegenen Mauerabschnitt plötzlich von hinten überwältigt wurden, von ihren eigenen Gefährten. Sie waren so auf die draußen wartende Legion fixiert, dass innerhalb weniger
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