Imperator 04 - Die Götter des Krieges
Cicero.
Als Marcus Antonius die Briefe von Julius aus Ägypten vorgelesen hatte, hatten sie darüber diskutiert, wie sie den größten Heerführer Roms ehren sollten. Insgeheim hatten sie sich gefragt, ob er den Senat überhaupt anerkennen würde. Cicero hatte mit den anderen dafür gestimmt, eine Diktatur auf zehn Jahre zu gewähren – so etwas hatte es in der Geschichte noch niemals gegeben. Die Waagschalen der Republik waren zu Boden gerissen worden. Mehr hatten sie nicht tun können.
Julius hatte genickt, als hätte er mit keinem anderen Ergebnis gerechnet, und Cicero hatte Verzweiflung empfunden. Ihm war die Bedeutung der Geste, mit der Julius seinen Sohn dem unersättlichen Pöbel gezeigt hatte, nicht entgangen. Der Mann hatte keine wahren Freunde unter seinesgleichen, die ihm die Hand auf die Schulter legten und zur Vorsicht rieten. Cicero fragte sich, ob Cäsar bei seinen Triumphzügen auch einen Knaben mit sich fahren ließ, der ihm »Vergiss nicht, dass du sterblich bist« ins Ohr flüstern würde.
Die Bronzetüren knarrten, und Cicero fuhr herum, um zu sehen, wer es wagte, die Ruhe des Senats zu stören. Gewiss standen doch Wachen draußen? Es hätte ihn nicht erstaunt, wenn sie sich ebenfalls dem Gelage hingegeben hätten und die hysterische Menge hereingestolpert käme, um sich in den Hallen ihrer Herrscher zu übergeben.
»Wer ist da?«, rief er und schämte sich sofort für das Zittern in seiner Stimme. Es war der nervöse Ton eines alten Mannes, dachte er verbittert.
»Suetonius«, kam die Antwort. »Ich habe es bei dir zu Hause versucht, aber Terentia sagte mir, du seist noch nicht zurück. Sie macht sich Sorgen um dich.«
Gereizt und erleichtert zugleich seufzte Cicero auf. »Kann man denn in dieser Stadt keinen Moment Ruhe finden?«, fragte er.
»Du solltest nicht im Dunkeln sitzen«, erwiderte Suetonius und trat aus dem Schatten heraus. Zuerst konnte er Cicero nicht in die Augen sehen; die Aura der Niederlage lastete schwer auf ihm. Auch er hatte Cäsar reden gehört.
Draußen stimmte jemand ein uraltes Lied über das Leid der Liebe an, und die Menge auf dem Forum fiel ein. Es hörte sich derbe, aber dennoch sehr schön an. Cicero war versucht, hinauszugehen und seine gebrochene Stimme den ihren hinzuzufügen, nur um ein Teil all dessen zu sein, bevor der nächste Tag die brutale Wirklichkeit zurückbrachte.
Suetonius legte den Kopf schief und lauschte. »Sie kennen ihn nicht«, flüsterte er.
Cicero schreckte aus seinen Gedanken auf und starrte ihn an. Suetonius’ Augen waren im Halbdunkel nicht mehr als tiefe Schatten.
»Dann sollen wir also seine Sklaven sein?«, fragte er. »Ist das alles, was wir erreicht haben?«
Cicero schüttelte den Kopf, eher in eigene Gedanken versunken denn als Antwort auf Suetonius’ Frage. »In dieser Stadt muss man Geduld haben, Senator. Sie wird noch lange bestehen, nachdem wir alle längst tot sind.«
Suetonius schnaubte verächtlich. »Was kümmert mich das? Du hast seine Pläne gehört, Cicero. Du hast mit all den anderen genickt, die es nicht wagten, etwas dagegen zu sagen.«
»Auch du hast deine Stimme nicht erhoben«, rief ihm Cicero in Erinnerung.
»Allein konnte ich nichts ausrichten«, fuhr ihn Suetonius an.
»Vielleicht haben wir uns alle allein geglaubt, genau wie du.«
»Er braucht uns, wenn er herrschen will«, sagte Suetonius. »Glaubt er denn, unsere Gebiete regieren sich von allein? Hast du ein Wort des Dankes für die Arbeit gehört, die wir hier in seiner Abwesenheit geleistet haben? Ich nicht.«
Cicero ärgerte sich über den weinerlichen Ton, der ihn an seine Kinder erinnerte. »Verstehst du denn nicht?«, herrschte er sein Gegenüber an. »Er braucht uns nicht. Seine Armee ist ihm allein treu ergeben, er hat den Mantel der Macht angelegt. Wir sind die letzten Überreste des alten Rom, ein Rest von Glut, der sich mit dem eigenen Atem Luft zufächelt. Die großen Männer sind alle tot.«
Das Lied auf dem Forum erreichte seinen pikanten Höhepunkt, gefolgt von lautem Jubel.
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Suetonius.
Seine klagende Stimme ließ Cicero zusammenzucken. Er ließ sich lange Zeit mit seiner Antwort.
»Wir werden schon Mittel und Wege finden, ihn an uns zu binden«, sagte er schließlich. »Die Menschen lieben ihn heute und vielleicht noch morgen, aber danach? Wenn sie das Geld, das er ihnen gibt, ausgegeben haben, brauchen sie mehr als Visionen, um sich die Bäuche zu füllen, mehr als goldene
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