Imperator
während der Händler sein Boot entlud.
Die Sachsen sahen in Isoldes Augen sehr ungewöhnlich aus. Viele von ihnen waren blond und blauäugig. Die Männer schoren sich die Haare über der Stirn und ließen sie am Hinterkopf wachsen, sodass ihr Gesicht lang wirkte, wie das eines Wolfes. Scharen von Kindern rannten in der Holzhüttensiedlung herum. Vielleicht waren ihre Väter Piraten gewesen, aber die Menschen hier waren eindeutig Einwanderer, die nirgends anders hinwollten. Allerdings trug jeder Erwachsene ein Messer an der Hüfte; selbst einige der älteren Kinder hatten Waffen.
Isolde war erleichtert, als sich ein junger Mönch durch die Menge drängte, um sie zu begrüßen. Ebenso wie Nennius trug er ein schlichtes Gewand aus schwerem braunem Tuch, zugebunden mit einem Seilgürtel. Er war jung, wohl nicht viel älter als Isolde. Aber seine streng geschnittene Tonsur kam Isolde ziemlich altmodisch vor, obwohl sie keine Expertin für Mönchsmoden
war. Sein Name sei Damon, sagte er. »Ich bringe Grüße vom Bischof von Camulodunum, und ich bin hier, um euch dorthin zu begleiten.«
»Ach, wie freundlich, wie zuvorkommend«, brabbelte Nennius. »Mein bisheriger Briefwechsel mit Bischof Ambrosius war schon eine große Freude, und das Geschenk seiner Gastfreundschaft wird uns bestimmt höchst willkommen sein …«
Damon führte sie zu einer einfachen, aber gedeckten und zweckdienlichen Kutsche. Er hatte einen Mann dabei, einen ungehobelt wirkenden Diener, der für einen Sklaven zu mürrisch war; er schleppte das Gepäck der Besucher vom Kai zum Wagen. »Der Bischof lässt euch ausrichten«, fuhr Damon fort, »dass die Ehre ganz auf seiner Seite liegt. Jeder Freund von Pelagius ist in seinem Palast willkommen.«
Nennius nickte. »Britannien ist eine Art Zuflucht für uns Pelagier geworden, fürchte ich. Aber schließlich ist Pelagius hier geboren; er ist einer von uns.«
»Vielleicht habt ihr die neuesten Gerüchte noch nicht gehört«, sagte Damon vorsichtig.
»Über Pelagius’ Exkommunikation durch Papst Zosimus? Welch ein Triumph für Augustinus und seine Leute.«
»Bischof Ambrosius tröstet uns damit, dass die Wahrheit und das Gute am Ende den Sieg davontragen werden«, sagte Damon honigsüß.
Während sie sich unterhielten, gingen sie zur Kutsche. Isolde fühlte sich blutleer und kraftlos; ihr war sogar ein wenig schwindlig, aber ihr Vater kümmerte
sich natürlich nicht um sie, ebenso wenig wie Damon, der junge Mönch, und niemand half ihr.
Die Sachsen waren mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt und beachteten sie nicht weiter, als sie an ihnen vorbeikamen. Die Schulterriemen der Frauengewänder waren mit Spangen befestigt, sie hatten Ärmelschließen um die Handgelenke und trugen Gürtel um den Leib, von denen seltsame Glücksbringer aus Metall wie große Schlüssel herabhingen. Isolde fand Gefallen daran, und die Metallarbeiten schienen von guter Qualität zu sein. Ob sie wohl an irgendwelchen Märkten Halt machen würden, wo sie ein paar Einkäufe tätigen konnte?
II
Die Reise nach Camulodunum würde zwei Tage dauern. Die drei saßen in Damons Kutsche, während der Diener schweigend vor ihnen herging und die Pferde führte.
Um aus dem Hafengebiet herauszukommen, mussten sie einen Zoll in römischer Währung an einen fetten, behaarten Sachsen entrichten. Isolde wollte wissen, wer den Zoll erhob, und der junge Mönch erklärte, dass die Regierungen der vier britannischen Provinzen nach wie vor funktionierten und Steuern eintrieben – wenn auch nicht mehr im Ausmaß der »alten Zeiten«, wie er sie nannte, vor der britannischen Revolution und der Vertreibung der Steuereinnehmer der Diözese, einer Revolte, die stattgefunden habe, als er, Damon, ungefähr fünfzehn gewesen sei.
Außerhalb des Hafengebiets war die Reise nicht gerade angenehm. Die Straße, auf der sie fuhren, sei eine der ersten jemals in Britannien gebauten Römerstraßen, erklärte ihr Vater. Wenn das stimmte, war sie sehr alt, und sie war ziemlich heruntergekommen. Man sah, wo Pflastersteine herausgebrochen worden waren, und da niemand die Schäden behoben hatte, gab
es jede Menge Schlaglöcher, die Isolde schmerzhaft durchrüttelten. Einmal musste der Diener die scheuenden Pferde beruhigen. Mit dürftigen Worten erklärte er, in dem verstopften Abflussgraben liege ein Toter; Fliegen, die von dem verwesenden Leichnam aufstiegen, hätten die Tiere erschreckt. Isolde wandte den Blick ab und bemühte sich, flach zu
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