Imperator
war eine von vielen in Camulodunum, ein bescheidener, kastenförmiger Bau mit rechteckigem Grundriss. Aber sie war säuberlich aus den wiederbenutzten Steinen der Ruine eines teuren Hauses errichtet worden, und ein Holzkreuz ragte über ihr Ziegeldach auf.
»Am Ende seines Lebens ist Tarcho immer hierhergekommen, um seine Andacht zu verrichten«, sagte Thalius. »Tatsächlich ist diese Kirche aus einer Soldatenkapelle entstanden – hier war früher einmal ein Mithräum, glaube ich.«
Audax schien kein Wort herauszubekommen. Dann sagte er schroff: »Und er ist hier begraben?«
»In der Kirche. Sein Grab ist nicht gekennzeichnet.«
»Ein passender Ort für einen Soldaten.«
»Ja. Vielleicht war es für ihn der richtige Zeitpunkt, um von uns zu gehen. Er hat Konstantin stets bewundert, weißt du. Ein ›guter Junge‹, hat er immer gesagt. Und er hat gern Berichte über die Vorbereitungen für den Feldzug gegen Persien gehört. Alexanders Traum sei wieder zum Leben erwacht, meinte er. Ich glaube, es hat ihm in gewissem Sinn gefallen, im selben Jahr zu sterben wie ein solcher Mann.« Sanft bohrte er nach: »Nun ist Tarcho tot, und Konstantin auch – was kommt wohl als Nächstes, Audax?«
»Mag sein, dass es momentan ein paar Probleme
gibt«, sagte Audax mit grimmiger Untertreibung. »Der Feldzug gegen Persien war selbst am kaiserlichen Hof umstritten. Der Osten hat die Römer immer geschlagen, wenn sie zu weit vorgedrungen sind. Und dann ist da die Nachfolge. Konstantins drei Söhne haben ihre Jugend damit verbracht, einander wie Welpen in einem Sack zu bekämpfen. Ich fürchte, dass es zu Blutvergießen kommt, bevor einer von ihnen den Lorbeerkranz erringt.«
Thalius seufzte. »Und das Reich wird weiter geschwächt, während unsere Feinde abwarten und zuschauen. Du musst auf dich aufpassen, Audax.«
»Das werde ich tun«, sagte Audax. »Ich spiele mit dem Gedanken, mich auf einen Posten fern vom Hof versetzen zu lassen.«
»Das ist klug. Weißt du, manchmal bin ich froh, dass ich nicht mehr jung bin – manchmal erscheint es mir tröstlich, dass ich den Rest des Dramas nicht mehr miterleben werde. Aber vielleicht denkt jeder alte Mann, dass die Welt ebenso rasch verfällt wie sein Körper.«
»So darfst du nicht denken.«
»Man muss realistisch sein«, ermahnte ihn Thalius. »Aber, Audax …« Er fragte behutsam: »Was ist mit der Prophezeiung?«
Audax’ Miene wurde hart. »Ich muss ihr wohl dankbar dafür sein, dass sie mir das Leben gerettet hat. Ich wäre bestimmt in diesem Erdloch verreckt, wenn ihr nicht gekommen wärt, um mich – und sie – zu suchen. Aber als ich zum Heer gegangen bin, habe
ich mir die Tätowierung auf dem Rücken wegbrennen lassen.«
Thalius zuckte zusammen. »Aber die Narben …«
»Die sind mir lieber als das abscheuliche Ding, das vorher dort war. Thalius, glaubst du immer noch, der wahre Zweck der Prophezeiung bestünde darin, das Schicksal der Kirche zu verändern?«
Das überraschte Thalius. Seit dem Tag des Mordversuchs hatte er mit niemandem mehr über solche Dinge gesprochen. »Du hast also darüber nachgedacht.«
»Ich bin kein Philosoph, weißt du«, erwiderte Audax. »Aber dieses Ding war seit meiner Geburt auf meinen Rücken tätowiert, und auf den langen Feldzügen hatte ich reichlich Zeit, mir Gedanken über seine Bedeutung zu machen. Ich sehe es so: Die Prophezeiung war eine Botschaft, und jemand hat sie geschickt . Aber ob es Gott oder ein Dämon war, oder sogar ein Zauberer …«
»Der Weber«, sagte Thalius leise. »Und wenn Konstantin den Tod gefunden hätte, wäre das Christentum vielleicht nicht ins Reich integriert und die Hauptstadt womöglich nicht nach Osten verlegt worden. Die Geschichte hätte einen anderen Verlauf genommen – die Geschichte der ganzen Welt, für alle Zeit.«
»Ja. Nun, wer immer die Prophezeiung geschickt hat, er hat eine bestimmte Absicht damit verfolgt. Die Frage ist, welche. Dieses Akrostichon enthielt christliche Symbole, das A und das O. Könnte es wirklich sein, dass der Absender die Erhebung des Christentums
zur Reichsreligion durch Konstantin verhindern wollte?«
»Das habe ich damals wohl geglaubt«, gestand Thalius, »obwohl andere die Prophezeiung und ihre verlorenen Versprechungen von ›Freiheit‹ auf ihre eigene Weise gedeutet haben. Vielleicht wollte der Weber, was ich immer wollte – seltsamer Gedanke! Jedenfalls hat Konstantin die Kirche erneuert, und dabei ist genau das herausgekommen, was ich
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