Imperator
knurrte Braint, die auf einmal direkt hinter ihnen stand. Agrippina war immer wieder überrascht, dass eine so massige Frau sich so leise bewegen konnte.
Nectovelin seufzte. »Was ich meine, Pina, ist: Bei ihrem Anblick werden die Römer sich in die Hosen machen – wohingegen du, mein Kind, sie nur zum Lachen brächtest, bevor sie widerwärtige Dinge mit dir anstellen und dir den Hals durchschneiden würden.
Ich bin mir sicher, dass du deine Gelegenheit zur Rache schon noch bekommen wirst«, sagte er grimmig. »Aber nicht heute, nicht hier. Nicht auf diese Weise.«
»Ihr sucht Caratacus«, sagte Braint.
»Seit die Sonne im Zenit stand.«
»Die Fürsten sind unten am Wasser. Folgt mir.«
Nectovelin und Braint gingen voran, hinunter zum Fluss. Der ohnehin schon sumpfige Boden war hier von Füßen und Hufen aufgewühlt und von tierischen Exkrementen bedeckt. Sie mussten sich ihren Weg durch hastig errichtete Verteidigungsanlagen bahnen: aufgehäufte Felsbrocken, Gräben, in den Boden gerammte Pfähle, alles dazu gedacht, die erwartete römische Durchquerung des Flusses zu verhindern. Die Menge wurde immer dichter, bis Agrippina zu allen Seiten eingezwängt war und der Lärm sowie der Gestank von Leder und Schweiß überwältigend wurden. Nectovelin und Braint mussten sich mit den Schultern gewaltsam einen Weg hindurch bahnen.
Schließlich stand Agrippina am träge dahinströmenden Wasser. Doch selbst der Fluss war voller Menschen. Krieger marschierten im Wasser, das ihnen bis an die Knie reichte, auf und ab. Einige von ihnen drohten den Römern am anderen Ufer mit dem Schwert oder schlugen mit den Klingen aufs Wasser. Frauen schnitten den Invasoren mit herausgestreckter Zunge und hervorquellenden Augen Grimassen. Selbst Kinder zeigten ihnen ihre blanken kleinen Popos.
Die Hand voll Römer am anderen Ufer, die sich die Füße im Fluss wuschen, ließen sich davon offenbar
nicht aus der Ruhe bringen. Sie lachten, johlten und machten einander auf besonders amüsante Szenen aufmerksam: ein fetter aller Krieger, der im Wasser einen Kriegstanz aufführte, ein Hund, der in der Gischt herumtollte, weil er glaubte, dass an diesem sonnigen Nachmittag jedermann spielte.
Agrippina zeigte auf eine Ente, die gelassen in der Mitte des Flusses schwamm, gefolgt von einer Reihe ihrer Jungen, in so ordentlicher Formation wie eine römische Legion. »Dieser ganze Unsinn macht nicht einmal den Entenküken Angst«, sagte sie trocken.
»Vielleicht fühlen diese großen Kerle sich dadurch besser«, murmelte Braint.
»Und Caratacus?«, fragte Nectovelin.
»Da.« Braint zeigte hin.
Die beiden Fürsten standen knietief im Wasser und arbeiten sich durch einen Haufen von Waffen. Sie zerstörten jeden Gegenstand, zerbrachen Dolchklingen und Schwerter, zertrümmerten Schilde mit Äxten und schleuderten die Stücke dann ins tiefe Wasser. Agrippina sah einen Priester in der Nähe der Fürsten; der Druide hatte die Arme ausgebreitet, als wolle er den Fluss selbst umarmen, und intonierte einen Singsang, während die Fürsten ihr Werk taten.
Inmitten des grotesken Spektakels der sich in Drohgebärden ergehenden Krieger fand Agrippina diese Zeremonie würdevoll und seltsam bewegend. Ihr eigenes Bauernvolk hatte ähnliche Rituale, bei denen man den Göttern Haushaltsgegenstände wie Becher, Kleidungsstücke und landwirtschaftliche Geräte wie Pflüge
opferte. Man stellte sie in Zwischenräume wie Gräben, Durchgänge und Flussufer – Orte zwischen den Welten, wo die Wirklichkeit ins Schwimmen geriet. Es waren Opfer für die Götter, Bitten um die Fortsetzung des Jahreszeitenzyklus – und heute waren es Bitten um den Sieg und um Ehre im Krieg. Überdies lag Caratacus’ Zerstörung seiner eisernen Waffen ein noch älteres Ritual zugrunde. Es war der Abschluss eines Lebenskreises, denn manche glaubten, das im Feuer geborene Metall sei lebendig, und hielten es darum für angemessen, dass es zu guter Letzt im Wasser »starb«.
Agrippina sah jedoch, dass zu den Gaben, die dem Fluss geopfert wurden, auch römische Waren gehörten: Keramik von der Insel Samos, gut gearbeitete gallische Dolche und Schwerter, ja sogar Münzen, die zweifellos mit dem Kopf des Invasorenkaisers geschmückt waren. Selbst in diesem heiligsten britannischen Ritual, dachte sie, hatten die Römer also bereits Fuß gefasst.
Ein Läufer näherte sich Togodumnus. Er brachte offensichtlich schlechte Nachrichten. Fluchend schleuderte der Fürst seine letzten Opfergaben von
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