Imperator
die dem römischen Vormarsch hier entgegentreten wollten. Die Britannier, denen die unübersehbare Disziplin der römischen Truppen vollständig fehlte, wirkten eher wie ein städtischer Pöbel, der aus Mediolanum oder Rom hierher versetzt worden war, dachte Narcissus müßig. Einige von ihnen schienen am Wasser eine Art Ritual zu veranstalten. Narcissus hätte schwören können, dass sie Becher und Teller, ja sogar Waffen zerbrachen und die Überreste ins Wasser warfen. War der Verstand der
Barbaren wirklich derart verwirrt, dass sie es für eine gute Idee hielten, am Vorabend der Schlacht ihre Waffen zu zerstören und in den Fluss zu werfen?
Aber so unorganisiert und rätselhaft sie sein mochten, es waren Zehntausende, wie Narcissus beklommen sah; vielleicht waren sie den römischen Truppen zahlenmäßig sogar überlegen. Und hinter der am Fluss versammelten Menge erspähte er Pferde, die kleine, schnelle, zweirädrige Wagen hin und her zogen. Das waren die berühmten Streitwagen, über die Caesar so eloquent geschrieben hatte; sie übten für den Krieg.
Vespasian zeigte jedoch keinerlei Anzeichen von Nervosität. Stattdessen schien der Legat das Schauspiel eher zu genießen. Er zeigte nach Osten, dorthin, woher sie gekommen waren. »Man kann den Pfad der Einheimischen sehen, dem wir bis zu dieser Furt über den Fluss gefolgt sind.«
Der Pfad war in einer annähernd geraden Linie parallel zum Südufer der Tamesis-Mündung verlaufen – nicht gepflastert oder ordentlich angelegt wie eine Römerstraße, sondern offenkundig uralt, tief gefurcht und eindeutig nützlich. Die Armee hatte seine Oberfläche gründlich verwüstet und ein Band aus aufgewühlter Erde hinterlassen, das sich in den Nachmittagsdunst erstreckte. Aber irgendwo dort hinten arbeiteten Gruppen von Straßenbauern; die nächste Streitmacht, die diesen Weg nahm, würde viel schneller vorankommen.
»Den Kundschaftern zufolge ist der Fluss hier eine Achtelmeile breit«, sagte Vespasian. »Ein Stück flussabwärts
weitet er sich – schau, du kannst es sehen – auf etwa die doppelte Breite. Weiter stromaufwärts wird er rasch tiefer. Hier bei dieser Furt ist er also am leichtesten zu durchqueren, und das wissen die Britannier. Dies ist das erste große Hindernis, dem wir uns seit Rutupiae gegenübersehen, der erste Engpass, der unsere Formation einschnürt. Deshalb haben die Britannier sich hier versammelt, um uns zu empfangen. Zweifellos wollen sie uns einen nach dem anderen abschlachten, während wir mühsam die Furt überqueren.«
»Aber die Britannier kennen das Land viel besser als wir. Weshalb stellen sie sich überhaupt zum Kampf? Sie könnten sich verstecken, uns piesacken und uns auszuhungern versuchen.«
Vespasian zuckte die Achseln. »Sie haben schon ein paar eher halbherzige Versuche in dieser Richtung unternommen. Aber es scheint da drüben nicht allzu viel Sachverstand zu geben, Sekretär. Das haben wir uns schon in dem Augenblick gedacht, als wir ohne Gegenwehr gelandet sind.«
»Ohne Gegenwehr – bis auf einen törichten Jungen, der uns für Freunde hielt«, sagte Narcissus ein wenig wehmütig. »Nun, ich denke, du hast nicht vor, in die ziemlich erbärmliche Falle zu gehen, die die Britannier dir gestellt haben. Was dann?«
Vespasian musterte ihn beinahe spitzbübisch. »Aber das würde den ganzen Spaß verderben! Willst du wirklich wissen, wie die Geschichte weitergeht, noch bevor die Schauspieler die Bühne betreten?«
Narcissus wendete mürrisch sein Pferd und ritt den Hang hinunter. »Wie du willst. Ich werde den Rest des Tages mit Phoebus verbringen.« Das war der älteste der Chirurgen, die Aulus Plautius mitgebracht hatte – und wie fast alle guten Ärzte des Heeres war er Grieche, so wie Narcissus. »Während ihr Barbarenschädel spaltet, werde ich zur Abwechslung wohl endlich einmal eine zivilisierte Konversation führen. Und vielleicht helfe ich, ein paar Wunden zu nähen oder ein paar eingeschlagene Schädel zu baden. Ich bin nämlich ziemlich sicher, Vespasian, dass die eisernen Klingen der Britannier trotz deiner Selbstgewissheit einigen Schaden anrichten werden, bevor dies vorbei ist.«
Vespasian folgte ihm. Er war offenbar nicht beleidigt. »Ja, aber wir werden den Sieg davontragen. Denk daran, Narcissus, für diese Britannier ist das alles neu. Selbst ihre Anführer, diese räuberischen catuvellaunischen Fürsten, von denen wir so viel hören, haben noch nie in offener Feldschlacht gekämpft. Wir
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