Imperium
zurück und griff nach einer graugestreiften Hose, an der bereits die Hosenträger festgeklammert waren. Er hatte weder die eine, noch die anderen je gesehen.
Sam versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken.
Keith wandte sich ihm zu. »Sagen Sie bloß nicht, daß Sie die letzten vierundzwanzig Stunden am Flughafen auf mich gewartet haben.«
»Die letzten sechsunddreißig, Sir. Sie hatten ja gesagt, daß Sie irgendwann am Freitag zurückkommen würden.«
»Oh, das tut mir leid. Ihre Frau muß schrecklich wütend auf mich sein.«
»Es ist ihr völlig egal, Sir.«
»Wieso?« fragte Keith erstaunt und mühte sich, die Hose zuzuknöpfen, während der Wagen mit fünfzig Meilen pro Stunde um eine Kurve jagte.
»Weil sie mich letzten Monat verlassen und bereits die Scheidung eingereicht hat.«
»Das tut mir aufrichtig leid«, sagte Keith leise.
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»Machen Sie sich deshalb keine Gedanken, Chef. Meine
Frau konnte sich nie mit dem Leben abfinden, das ein
Chauffeur nun mal führen muß.«
»War es meine Schuld ?«
»Ganz gewiß nicht«, versicherte ihm Sam. »Es war sogar noch schlimmer, als ich Taxi fuhr. Nein, um ehrlich zu sein, mir gefällt dieser Job, aber meiner Frau haben die
unregelmäßigen Arbeitsstunden sehr zu schaffen gemacht.«
»Und Sie haben elf Jahre gebraucht, um das zu erkennen?«
Keith beugte sich vor, damit er in die graue Frackjacke schlüpfen konnte.
»Ich glaube, uns beiden war das schon ziemlich lange klar«, antwortete Sam. »Aber irgendwann konnte ich ihre Nörgelei nicht mehr aushalten, daß sie nie sicher sein könne, wann ich nach Hause käme.«
»Nie sicher sein, wann Sie nach Hause kämen?« wieder-
holte Keith, als sie erneut um eine Kurve brausten.
»Ja. Sie konnte nicht begreifen, warum ich nicht am
Nachmittag um siebzehn Uhr Feierabend machte wie jeder normale Ehemann.«
»Dieses Problem verstehe ich nur zu gut.« Keith nickte.
»Sie sind nicht der einzige, der damit leben muß.«
Den Rest der Fahrt schwiegen beide. Sam, weil er sich darauf konzentrierte, die am wenigsten verstopfte Fahrbahn zu nehmen, was ihm ein paar Sekunden Zeitgewinn einbrachte; Keith, weil er über Susan nachdachte, während er seine Schleife zum drittenmal neu band.
Keith steckte sich die Nelke ans Revers, als der Wagen auf die Straße bog, die zu St. Peter führte. Er konnte bereits die Glocken läuten hören. Der erste, den Keith sah, war ein besorgt aussehender Bruce Kelly, der mitten auf der Straße stand und in ihre Richtung spähte. Erleichterung huschte über sein Gesicht, als er den Wagen erkannte.
»Genau, wie ich es Ihnen versprochen habe, Chef.« Sam 334
schaltete in den dritten Gang zurück. »Wir haben noch fünf Minuten.«
»Oder elf fahre, es zu bereuen«, sagte Keith leise.
»Wie bitte, Sir?« fragte Sam, als er kurz das Bremspedal trat und dabei den zweiten Gang einlegte.
»Nichts, Sam. Sie haben mir nur gerade klargemacht, daß diese Sache hier ein Risiko ist, das ich nicht einzugehen bereit bin.« Er hielt einen Moment inne, und kurz bevor der Wagen sein Ziel vor der Kirchentreppe erreichte, sagte er entschlossen:
»Halten Sie nicht an, Sam. Fahren Sie einfach weiter.«
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THE TIMES
24. März 1948
Berliner Blockade:
Sowjets boykottieren interalliierten Kontrollrat.
»Es ist außerordentlich liebenswürdig, Captain Armstrong, daß Sie sich so schnell Zeit für mich genommen haben.«
»Das ist doch selbstverständlich, Julius. In schweren Zeiten müssen wir Juden zusammenhalten.« Armstrong klopfte Julius Hahn auf die Schulter. »Sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.«
Hahn schritt in seinem Büro auf und ab, während er
Armstrong die Katastrophen aufzählte, die während der vergangenen zwei Monate über sein Unternehmen herein-gebrochen waren. Armstrong hörte aufmerksam zu. Schließlich kehrte Hahn auf seinen Schreibtischsessel zurück und fragte:
»Glauben Sie, daß Sie irgend etwas für mich tun können?«
»Das würde ich wirklich gern, Julius, aber wie Sie wissen –
vermutlich besser als andere –, haben sowohl der amerikanische wie der russische Sektor ihre eigenen Gesetze.«
»Die Antwort hatte ich schon befürchtet«, sagte Hahn.
»Aber Arno hat mir so oft erzählt, daß Ihr Einfluß weit über den britischen Sektor hinausreicht. Ich hätte nie auch nur in Erwägung gezogen, Sie zu belästigen, wäre meine Lage nicht so verzweifelt.«
»Verzweifelt?« fragte Armstrong.
»Ja, ich fürchte, das ist das einzige zutreffende Wort«,
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