Imperium
zurück-zuhalten, als er die Regale und Ständer neu ordnete, die Liefertermine umorganisierte und einen Monat später die Buchhaltung übernahm. Sie wunderte sich auch nicht, daß ihr Umsatz sich schon wenige Wochen nach Lubjis Eingriffen zum erstenmal seit 1939 erhöhte.
Immer wenn keine Kunden im Laden waren, half Mrs.
Sweetman Lubji, Englisch zu lernen, indem sie ihm die Artikel auf der Titelseite des Citizen laut vorlas. Anschließend versuchte Lubji, sie ebenfalls laut zu lesen. Oft lachte Mrs.
Sweetman herzhaft, wenn er ein Wort allzu komisch aussprach, worauf Lubji es sofort richtig artikulierte.
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Als der Winter dem Frühling gewichen war, kam es kaum noch vor, daß Lubji sprachliche Schnitzer machte, und es dauerte nicht mehr lange, bis er sich in eine ruhige Ecke setzte, um ganz allein zu lesen. Er wandte sich nur noch an Mrs.
Sweetman, wenn er auf Worte stieß, die ihm noch fremd waren. Lange bevor er wieder vorm Tribunal erscheinen sollte, befaßte Lubji sich bereits mit den Leitartikeln des Manchester Guardian, und eines Morgens, als Mrs. Sweetman auf das Wort »genotype« starrte, ohne auch nur zu versuchen, es ihm zu erklären, beschloß Lubji, ihr weitere Verlegenheit zu ersparen: Er schlug selbst im Oxford-Taschenwörterbuch nach, das er völlig verstaubt unter dem Ladentisch entdeckt hatte.
»Brauchen Sie einen Dolmetscher?« fragte der Vorsitzende des Tribunals.
»Nein, danke, Sir«, antwortete Lubji.
Der Vorsitzende hob eine Braue. Er war sicher, daß dieser junge Mann kein Wort Englisch beherrscht hatte, als er sechs Monate zuvor schon einmal vor ihm gestanden hatte. War das nicht der junge Bursche, der dem Tribunal diese unglaubliche und fesselnde Geschichte aufgetischt hatte, was ihm alles widerfahren war, ehe er sich als blinder Passagier nach Liverpool durchschlagen konnte? Nun erzählte er genau dieselbe Geschichte, und trotz einiger grammatikalischer Fehler und einem grauenhaften Liverpooler Akzent hatte sie eine noch größere Wirkung auf das Tribunal als bei der ersten Befragung.
»Und was würden Sie jetzt gern tun, Hoch?« fragte der Vorsitzende, als der junge Tscheche seine Geschichte beendet hatte.
»Ich möchte Soldat werden und mein Teil zu Sieg in Krieg beitragen«, war Lubjis einstudierte Antwort.
»Das dürfte sich nicht als so einfach erweisen, Hoch.« Der Vorsitzende lächelte väterlich zu ihm hinunter.
»Wenn Sie mir nix Gewehr geben wollen, töte ich Nazis mit 144
bloße Hände«, sagte Lubji herausfordernd. »Geben Sie mir Chance, mich zu bewähren.«
Der Vorsitzende lächelte ihn wieder an, bevor er dem
diensthabenden Sergeanten zunickte, der kurz stramm stand und Lubji dann aus dem Saal führte.
Lubji erfuhr die Entscheidung des Tribunals erst nach einigen Tagen. Er lieferte gerade die Morgenzeitung im Offiziers-quartier aus, als ein Corporal herbeikam und ohne jegliche Erklärung sagte: »Hoch, Sie sollen zum Kommandanten
kommen.«
»Wann?« erkundigte sich Lubji.
»Jetzt«, antwortete der Corporal, drehte sich wortlos um und marschierte los. Lubji legte die restlichen Zeitungen auf den Boden; dann eilte er dem Corporal hinterher, als dieser durch den Morgennebel quer über den Exerzierplatz in Richtung Bürobaracke marschierte. Beide hielten gleichzeitig vor einer Tür an, auf der »Kommandant« zu lesen war.
Der Corporal klopfte an. Als er »Herein!« hörte, öffnete er die Tür, marschierte ins Zimmer, nahm vor dem Schreibtisch des Majors Haltung an und salutierte.
»Hoch, wie befohlen, zur Stelle, Sir«, meldete er so laut, als würde er sich auf dem Exerzierplatz befinden. Lubji blieb dicht hinter dem Corporal stehen und wurde fast angerempelt, als dieser einen Schritt zurück machte.
Lubji starrte auf den Offizier, der in seiner maßgeschneiderten Uniform hinter dem Schreibtisch saß. Zwar hatte er ihn schon zweimal gesehen, jedoch aus ziemlicher Entfernung.
Nun stand Lubji ebenfalls stramm und legte zackig die Hand an die Schläfe, wie er es beim Corporal gesehen hatte. Der Kommandant blickte kurz zu ihm auf; dann wandte er sich wieder dem einzelnen Blatt Papier zu, das vor ihm lag.
»Hoch«, begann er, »Sie werden von hier zu einem
Ausbildungslager in Staffordshire versetzt, wo Sie als Armeehelfer im Pionierkorps aufgenommen werden.«
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»Jawohl, Sir!« rief Lubji glücklich.
Der Colonel hob den Blick nicht von dem Papier. »Sie
werden morgen früh um sieben Uhr mit dem Bus das Lager verlassen.«
»Jawohl, Sir!«
»Zuvor
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