Imperium
subkutan vorhanden waren) - bewegt den Hebel des Maschinentelegrafen auf halbe Fahrt voraus. In der Innentasche von Slütters weißer, schmutziger, stets halbnasser Kapitänsjacke steckt ein in Apia in Empfang genommener Brief des Gouverneurs Hahl, darin die Bitte, sich zu einem Gespräch in der neuen Hauptstadt Rabaul einzufinden, um ein kleines, aber dringliches Problem zu beseitigen.
Das Tosen ist von einer spiegelglatten Bilderbuchsee abgelöst worden, die Sonne erscheint, er steckt sich eine feuchte Zigarette zwischen die Lippen und summt eine kleine, nur ihm bekannte Melodie. Die gesamte sich vor ihm ausbreitende Szenerie, also auch er selbst darin, erinnert ihn an die Durchsicht jahrzehntealter Alben und die darin befindlichen, allmählich undeutlich werdenden Photographien. Es ist, als habe man es so schon einmal gesehen, exakt so, nur habe sich inzwischen die Außenwelt und man selbst verändert und nicht das Album - stark strahle es noch aus der Vergangenheit herauf, die in Wirklichkeit ewig andauert, während sich andererseits die Gegenwart innerhalb von Sekundenbruchteilen selber auffrißt. Slütter saugt an seiner Zigarette und muß lachen, denn sein Gehirn vermag sich partout nicht um diese paradoxen Gedankengänge her umbiegen, schnappt man danach, so ist der Gedanke futsch, lauert man ihm auf, so verblaßt er im Augenblick der Erkenntnis. Einzig sein eigener Tod, denkt er, ist ihm vorbestimmt; schon jetzt ist dieses Ereignis in die Zukunft eingeschrieben, es fehlen ihm nur noch die Koordinaten desselben, die Justierung in Raum und Zeit.
Auf dem Frachtschiff befindet sich neben Apirana, jenem im Gesicht imposant tätowierten Maori, den er in Neukaledonien als erfahrenen Seemann angeheuert hat, und Herrn November, dem Heizer, auch das junge Mädchen Pandora. Slütter hat sie in Sydney aufgegabelt, sie ist ihm quasi vor die Füße gelaufen, nachdem er seine zweimal jährlich in Sydneys Chinatown angerauchten Opiumträume mehr oder weniger ausgeschlafen hatte und nachmittags hinunter zu seinem Frachtschiff gewankt war. Er war leicht derangiert um die Ecke zum Quai am Darling Harbour gebogen, dort war zwischen prächtigen Dreimastern und weißgetünchten Linienschiffen die Jeddah gelegen, jener häßliche, mit Seepocken überzogene, geliebte Frachter undefinierbarer Farbe. Und just als er mit übernächtigtem Blick ihr Achterdeck sowie den bereits rauchenden Schlot vermessen und seinen Seesack einem Kuli hingeworfen hatte, war dort vor ihm Pandora gestanden, barfüßig, rothaarig, vielleicht zwölf, vielleicht vierzehn, eine kleine Augenbraue geschickt hochgezogen, eine Tasche (in der sich mehrere Bleistifte und ein hawaiianischer Quilt befanden) über die schmale Schulter gehängt.
Mit einer fast unmerklichen Andeutung des Kopfes hatte sie den Quai hinuntergewiesen, in Richtung der vier Polizisten, die sich in einiger Entfernung näherten, und eher eindringlich als kläglich gefleht, er möge sie bitte verstecken oder auf seinem Schiff mitnehmen, auf jeden Fall sei es unumgänglich, daß sie sich vor den sich bedrohlich nähernden Konstabiern verberge. Slütter hatte keinen Augenblick gezögert und sie an dem gleichgültig dreinschauenden Maori vorbei hinunter in die Kapitänskajüte der Jeddah gebracht, eine Decke über sie und den Zeigefinger auf seine Lippen gelegt, sich dann auf die Brücke begeben, den Befehl zum Auslaufen gerufen und dem Maschinisten November angeordnet, er möge achtern die kaiserliche Handelsflagge hissen, worauf sich die Jeddah kurze Zeit später, ihrem ramponierten Äußeren Lügen strafend, durchaus schneidig und rasch aus dem Hafen von Sydney hinaus auf offene See begeben hatte.
Pandora schläft lange in der Kajüte, sie schläft, bis die Küste von New South Wales längst am Horizont verschwunden ist und sich der Ozean unter der Jeddah tintenblau gefärbt hat, und als sie erwacht und an Deck tapst, sich die hellroten, ungekämmten Haare links und rechts aus dem Gesicht streicht und Slütter vom Ruder abläßt, stellt sie sich neben ihn und lehnt dankbar ihren schmalen Kopf an die Schöße seiner schmutzig-weißen Kapitänsjacke. Slütter weiß dann, er würde niemals eine Erklärung von ihr verlangen, weshalb sie auf sein Schiff geflüchtet ist oder wer sie sei. Die See ist nachsichtig, manche denken beim Gedanken an das Meer an Mord, er jedoch fühlt eine unendlich zärtliche, nostalgisch gefärbte Zuneigung zu jener Zeit, als die Erde noch menschenleer war. Hierin ist
Weitere Kostenlose Bücher