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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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abzeichnete, mit einer unwirschen Handbewegung die weißen Schachfiguren vom Brett gefegt. Springer und Turm waren, hölzernen Granaten gleich, im Sand neben einem Tausendfüßler eingeschlagen, der sich beim Verzehr eines ihm als Abendbrot dienenden Blattes empfindlich gestört sah und mürrisch durch den Regen davongekrochen war. Engelhardt hatte dann erneut die fehlende Schere erwähnt, und Lützow, dem es bei all seinen Unzulänglichkeiten fern lag, sich allein um des Streites willen zu streiten, erwiderte, er wisse von keiner Schere und es interessiere ihn auch nicht - waren nicht alle Gegenstände sowieso Gemeinschaftseigentum, ergo auch die fragliche Schere? Er würde ja durchaus bereit sein, so Lützow, ihm den kleinen Tropenkoller nachzusehen, aber er könne an den Haaren herbeigezogene, ungerechtfertigte Anschuldigungen nicht einfach auf sich sitzen lassen. Ungerechtfertigte Anschuldigungen, entfuhr es Engelhardt, der dabei aufsprang, ins Haus eilte und wie rasend begann, aus den Bücherregalen einzelne Bände herauszureißen und sie aus dem offenen Fenster hinaus in den Regen zu werfen, seien das gewiß nicht, nein, Lützow habe sich nun schon mehrmals zum heimlichen Theoretiker seines Ordens stilisiert, wobei doch er, Engelhardt, in Wahrheit alles selbst erfunden und geplant habe, so daß er sich inzwischen fragen müsse, wann der Musiker denn nun endlich die Kontrolle über Kabakon übernehmen würde, es sei ja im Grunde nur eine Frage der Zeit, aber er gedenke, nun allerraschestens einen Riegel davorzuschieben, denn diese Insel, im Gegensatz zu Lützows vor Hahl geäußerten Bemerkungen, sei mitnichten eine Demokratie, und ein kommunistisches, infantiles Miteinander herrsche schon gar nicht und werde hier auch niemals herrschen. Engelhardt bestimme allein, wohin es gehe, und auch Lützows Rat, diese Horde von Verrückten aus Rabaul auf Kabakon anzusiedeln, sei im Grunde ein infames Übernahmemanöver gewesen, das nur dazu gedient hätte, ihn auf lange Sicht zu entmachten.
    Bitte, erwiderte Lützow, dann werde er eben wieder gehen, wenn hier so wenig Wert auf seine Anwesenheit gelegt werde, er habe vielleicht irrigerweise gedacht, man sei gemeinsam auf Kabakon, um ein neues Eden zu schaffen. Und er, der vom Wesen her ganz und gar umgänglich sei, führe keinesfalls im Schilde, Engelhardt irgend etwas abstreitig zu machen, und er habe schon gar nicht im Sinn, Machtansprüche zu stellen, die ihm ja bei einer Kokosplantage gar nichts bringen würden, denn er sei Künstler und kein Assessor, kurz, es tue ihm aufrichtig leid, wenn ein anderer Eindruck entstanden sei, aber nun müsse er, wolle er gehen, und er wünsche seinem Freunde viel Glück. Traurig sei er wohl, habe er doch eine Innigkeit zwischen ihnen empfunden, deren Zerrüttung er sich wohl zum Teil selbst zuzuschreiben habe (jawohl, jawohl, nickte grimmig Engelhardt), aber ganz gleich, wie es nun enden würde, sein Freund habe ihn viel gelehrt und ihm gezeigt, daß es einen Weg heraus gäbe aus der betäubenden Misere der modernen Existenz, und dafür werde er immer dankbar sein. Die Schere erscheint im übrigen wenige Tage später wieder, als sei sie niemals weg gewesen.
    Eine verblichene Photographie der beiden ist noch erhalten, die sie, Vollbart tragend, vor einer Palme zeigt; Lützow, halb liegend, amüsiert, linker Arm im Sande abgestützt, sieht zur Kamera hin; Engelhardt, erschreckend dürr, zeigt sein krähenhaftes Profil. Es ist eine merkwürdig angespannte, hochmütige Kopfhaltung, die vielleicht mit Anmaßung verwechselt werden könnte, aber durchaus auch Selbstsicherheit ausdrückt, sogar einen Anflug von Selbstgefälligkeit. Sein Bauch, indes, spannt sich gebläht und kugelförmig und unterernährt über dem karierten Wickelrock; er ist weit darüber hinaus, ihn aus Eitelkeit einzuziehen, bevor die Verschlußmechanik der Kamera sich klickend senkt.
    Ach, Lützow hat sich also als anständiger Mensch herausgestellt, das ist er ja zweifellos immer gewesen, ein wenig eitel vielleicht, aber gewiß ohne sich durch die Anflüge der kauzig-bösartigen Misanthropie, die Engelhardt nun schon seit längerem an den Tag legt (die von ihm gehegten greulichen Absichten, Lützow und andere betreffend, bleiben noch ein Weilchen in einem schattigen Seitengang des Bergwerks seiner Psyche verborgen), provozieren zu lassen. Er hat sich seinem Kameraden gegenüber auf faireste Weise verhalten, und so ist sein morgendlicher Auszug aus Kabakon, auch wenn es

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