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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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halbem Wege bleibt sie stehen und bückt sich, um Blumen zu pflücken, und einige Insulanerkinder kommen schüchtern hinzu. Aus der Ferne sieht es aus, als würden sie innig miteinander spielen; Pandora vergißt darüber, weswegen sie an Land gegangen ist.
    November geht ebenfalls von Bord, um einen Vertreter der Faktorei, die die Ladung der Jeddah bestellt hat, ausfindig zu machen. Der Besuch in Rabaul hat nach dem Sturm etwas ganz und gar Antiklimaktisches, und es ist Slütter einerlei, ob jemand sich für die Bratpfannen interessiert oder nicht. Er sieht Pandora hinterher und weiß, daß er sie wieder verlieren wird - noch nie ist ihm etwas wichtig gewesen, niemand hat jemals Macht über ihn gehabt, ja, denkt er, er habe es schließlich selbst zugelassen, daß jenes rothaarige Kind ihn nicht nur verwundbar, sondern sterblich gemacht habe.
    Er knöpft in aller Ruhe seine Kapitänsjacke zu und ergreift seine Mütze, um sich ebenfalls hinüber zur Residenz zu begeben. Sein Mißtrauen jeglicher Autorität gegenüber hat er in die hinterste Ecke seines Bewußtseins verbannt, da er gehört hat, daß Hahl, der hiesige Gouverneur, ein durchaus anständiger, besonnener Mann sei. Trotzdem wird er das Gefühl nicht los, sein Schicksal werde zusehends von anderen beeinflußt, es entgleitet ihm alles, wie bei einer Schachpartie, deren unausweichlicher Verlust sich schon ganz am Anfang, nach dem dritten oder vierten Zug exponentialfunktionell abzeichnet, freilich andersherum, als könne die bereits im Samenkorn vorhandene Form des alten Baumes erahnt werden. Im Vorbeigehen lächelt er Pandora an, die sich zu den eingeborenen Kindern auf die Wiese gesetzt hat, und als sie nicht zurücklächelt, ja noch nicht einmal zu ihm aufschaut, schließt er die Augen und geht weiter.
    Die vorherrschende Ansicht, die Zeit sei ein unaufhaltsamer Strom, in dem alles seinen präzisen Anfang habe und seinen klar definierten Verlauf, hat sich auch in Slütters Denken festgesetzt; dabei ist es, wie ihm in manchen luziden Momenten gewahr wird, eher so, daß das Ende sehr wohl feststeht, nicht aber das immerwährende Präsens, welches einen dorthin zu führen weiß. Das perfide, unfaßbare Jetzt mäandert, einem ektoplasmischen Wabern gleich, aus allen Ecken und Enden und fließt unkontrollierbar wie ein Gas in sämtliche Richtungen des Daseins, dabei die unwiderrufliche Einzigartigkeit jedes seiner Augenblicke außer Acht lassend, so auch den Folgenden.
    Es präsentiert sich also Kapitän Slütter pünktlich zur Verabredung beim Gouverneur, lehnt mit beiden leicht erhobenen Händen das offerierte Glas Bier ab, setzt sich sachte hin, als ahne er, daß jetzt etwas Wesentliches, etwas durch und durch Unangenehmes folgen wird. Hahl räuspert sich und bittet um Verständnis, wenn er gleich zur Sache kommen wolle. Er wisse natürlich, daß Slütter kein mißratener Strandläufer sei, einer jener weißen Taugenichtse, die den Pazifik bevölkern und von der Hand in den Mund leben. Aber es gebe gewisse Umstände, die Maßnahmen erforderlich machten, die sozusagen außerhalb des Gesetzes ihrer Erledigung harrten. Und einer wie Slütter (Hahl steht dabei abrupt auf), der zwischen Tür und Angel lebe, keine Familie habe (er kann natürlich, denkt Slütter, nichts von Pandora wissen), aufgrund seiner Freiheitsliebe, die Hahl im übrigen sehr achte, die dem Kapitän aber verwehre, sich irgendwo länger als nötig heimisch zu fühlen, im Stillen Ozean jahrelang hin und her gondele, einer wie er müsse für Hahl bitte eine Kleinigkeit erledigen, die moralisch vielleicht nicht einwandfrei, aber gänzlich notwendig sei.
    Also: August Engelhardt, den Slütter ja vor einigen Jahren in der alten Hauptstadt Herbertshöhe kennengelernt habe, sei gewissermaßen untragbar geworden, man habe lange abgewägt, inzwischen sei er hoch verschuldet, seine Insel gehöre ihm gar nicht, die Plantage sei verwildert, wahrscheinlich habe er einen Mord begangen, ganz sicher sei er verrückt geworden, Hahl habe sich die ganze Sache jahrelang durchaus wohlwollend angesehen, aber nun, um es kurz und schmerzlos zu machen (er knetet sich dabei hinter dem Rücken die Hände), bitte er Slütter, da er hier die finale gesetzliche Instanz zu vertreten habe, hinüber nach Kabakon zu fahren, den Kokosapostel zu erschießen, seine Leiche zu verbrennen und die Asche ins Meer zu streuen. Zweitausend Mark biete er ihm dafür an, aus einer geheimen, unter seiner Alleinverantwortung stehenden

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