Imperium
ihm selbst nicht so erscheint, doch ein aufrechter Gang und kein Davonschleichen.
Die schon frühmorgens in der Plantage arbeitenden Eingeborenen beobachten seine Abfahrt und sehen seinen Aufbruch, leise miteinander sprechend, als schlechtes Omen an, auf das noch schlechtere folgen werden. Ja, man habe gestern auch einen seltsamen, unbekannten Vogel gesehen, der sich kläglich im Sand gewälzt habe, als habe er etwas loswerden wollen, das ihm das Federkleid verklebte. Man beschließt gemeinsam, die Arbeit niederzulegen und bis auf weiteres erst einmal nichts mehr zu tun, sondern sich auszuruhen und auf weitere Zeichen zu warten. Daß Engelhardt seine Arbeiter schon seit fast zwei Jahren nicht mehr bezahlt hat, wird als nicht besonders gravierend angesehen, da man davon ausgeht, daß der Brotherr zur Zeit eben nicht über Geld verfüge. Und der Tolaihäuptling, der nächtens immer auf dem Bastklavier gespielt, gründlich den ihm nun äußerst primitiv erscheinenden Trommeln und Pfeifen seiner Rasse entwachsen, sitzt etwas abseits unter einer Palme und reibt sich die tauben Hände, in sich eine tiefe Traurigkeit ob der Abreise des weißen Musikzauberers empfindend, die durch den mühsam vor seinem Stamme verborgenen Umstand, daß er sich mit dem Aussatz infiziert hat, bis ins Unendliche potenziert wird.
Engelhardt, und dies weiß weder er selbst noch Max Lützow, hat sich ebenfalls mit Lepra angesteckt, und diese Krankheit, deren alttestamentarischer Nimbus die einfache Realität verbirgt, daß sie sich in erster Linie als Nervenleiden manifestiert, verursacht gewisse konfuse Reaktionen innerhalb Engelhardts ohnehin schon von der mehrere Jährchen andauernden Kokosnußdiät derangiertem Organismus. Dr. Wind, drüben im Rabaulischen, hat natürlich auf seine Weise ganz recht gehabt.
Übertrieben ist es nun wohl zu sagen, Engelhardts Psyche habe Wasser aus dem Fluß Lethe gekostet, an dessen Ufer ausruhend sie sich lange gespiegelt betrachtet; und dadurch gerate in tiefste, kosmische Vergessenheit, weshalb er überhaupt hierher gekommen sei. Die Wahrheit nimmt sich wesentlich prosaischer aus: je weiter er sich aus der Gemeinschaft der Menschen entfernt, desto absonderlicher werden sein Verhalten und sein Verhältnis zu ihr, er wird zurückgeworfen in eine geistige Archaik, die sich in einer Ahnung allgewaltigen Kontrollverlustes äußert: die sich in Rabaul stapelnden Flaschen mit dem Kabakon-Öl geraten in Vergessenheit, die Kopra-Produktion ebenfalls, die Seiten seiner geliebten Bücher wellen sich in der tropischen Feuchtigkeit, weil sie nicht mehr regelmäßig im Sonnenschein gelüftet werden, ja selbst die Blumen um sein Haus, die früher von ihm mit fürsorglicher Liebe gepflegt worden sind, verwildern und drohen von Schlingpflanzen erstickt zu werden. Es ist, als sei er selbst zur alten Jungfer Miss Havisham geworden, die phlegmatisiert darauf wartet, daß ein großes, allverzehrendes Feuer sie endlich erlösen möge.
Und die Lepra? Der vermutliche Ansteckungsherd hat irgendwo innerhalb der Quinte zwischen C- und G-Tasten des Lützowschen Klaviers gelegen, an denen vom leprösen Finger des Tolaihäuptlings abgelöster Hautschorf kleben geblieben ist, den Engelhardt wenig später für seinen eigenen gehalten und gewohnheits- und reflexmäßig in den Mund gesteckt hat, uneingedenk und ungeahnt der Tatsache, daß sich mehrere blutende Stellen in seiner Mundhöhle und am Zahnfleisch, sogenannte Aphthen, befinden. In Wahrheit hat sich unser Freund natürlich schon Jahre zuvor infiziert.
XI
Während also Engelhardt in wütender, paralysierter, entzündeter Umnachtung auf Kabakon verharrt (die ihm ein Nervenarzt als schwerwiegenden Verfolgungswahn diagnostiziert hätte) und Max Lützow, einen ordentlichen Kloß im Hals, sich trotzdem munter und erleichtert fühlend Richtung Rabaul dampft, umrundet Kapitän Christian Slütter, auf der Schiffsbrücke der Jeddah stehend (die im Grunde nur aus einem windschiefen, nach achtern halboffenen, eisernen Aufbau besteht), eine flaschengrün in die Blanchebucht hineinragende Landzunge und erblickt erst den rauchenden Kegel des Vulkans und dann das kleine deutsche Städtchen sich geordnet vor ihm ausbreiten. Er erinnert sich lächelnd des letzten Aufenthalts, an dem er noch kein Kapitänspatent besessen, und - sich mit der Hand durch den blonden Bart fahrend (der bereits mehrere weiße Härchen zeitigt, die damals, beim nun ein paar Jahre zurückliegenden Besuch, erst
Weitere Kostenlose Bücher