Imperium
er wohl Engelhardt nicht unähnlich, aber seine Vorstellungen und Träume zeigen ihm niemals eine andere Welt als die unsere, er sieht kein kommendes Geschlecht sich ausbreiten und keine neue Ordnung entstehen, sondern allein und immer wieder die See, die mit blutwarmer, organischer Unbeirrbarkeit Kirchen, Städte, Länder, ja ganze Kontinente überflutet.
Ob Slütter wohl sehr in Pandora verliebt ist? Oder sieht er sich zu deutlich in der Rolle des Vaters und Beschützers, als daß er sich erlauben würde, Pandora als junge Frau wahrzunehmen, wenn sie des Nachmittags über das Oberdeck schleicht wie eine ingwerfarbene, desinteressierte Katze? Er gedenkt jedenfalls, sie in Deutsch-Samoa abzusetzen, aber daraus wird nichts, da sie sich, als die Jeddah in die Bucht von Apia einläuft und sie den auf einem Faktoreidach gehißten Union Jack gewahr wird, schreiend und weinend vor ihm auf den Boden wirft und mit den kleinen Fäustchen so lange das eiserne Deck bearbeitet, bis ihre Hände an den Seiten blutig aufreißen, dabei mit den hübschen Augen heimlich aufwärts schielend, ob ihre beschämende Posse wohl zu dick aufgetragen ist. Aber Slütters Herz ist weich wie Kautschuk, und er weist November und Apirana an, die Cognac-Kisten löschen zu lassen. Er nimmt die Pfannen (und einige Kisten Krebsfleisch in Konservendosen) an Bord und beruhigt das Mädchen, indem er ihm durch die Haare streicht und sagt, es könne bis Neupommern auf der Jeddah bleiben.
Der Maori verbindet Pandoras Hände, November (dessen Kleidung und Haut zusehends von einer immer dunkler werdenden Rußschicht überzogen sind) lädt Kohle an, und wenig später, sie sind wieder auf hoher See, erscheint vor ihnen der Sturm, schiefergrau, abweisend und mit der Intensität eines riesenhaften Tieres. Wolkenberge schwellen binnen Minuten an, ihr Inneres vom zuckenden Feuerwerk eines Unwetters gelbweiß erleuchtet. Die Kompaßnadel auf der Kommandobrücke beginnt im gläsernen Kreis anarchisch umherzusurren; turmhohe Brecher treiben den Frachter vor sich her, als sei er lediglich aus Karton; von der Spitze eines Kammes saust er ins nächste Wellental hinab und anschließend wieder hinauf, so daß es selbst Apirana mulmig zumute wird. Der Maori bindet sich, als sei er ein wiedergeborener, fleischgewordener Queequeg, mit einem Tau an der Reling nächst der Kommandobrücke fest, um Slütter aus Leibeskräften den richtigen Kurs zuzuschreien, den er aufgrund der geheimen Verbundenheit seiner Ahnen mit Navigation und Seefahrt genauer erahnt, als ein Kompaß je dazu in der Lage sein würde. Beiden scheint es jedoch zusehends, als drohe die Jeddah jeden Augenblick zu kentern. Slütter fühlt nach Eisen schmeckende Tränen der Wut in sich aufsteigen.
Aber Herr November arbeitet wie ein Dämon unten in der Dunkelheit des Schiffsrumpfes; Kohleschaufel um stete Kohleschaufel landet im orangeglühenden Ofen unter dem Kessel. Zwischendurch wirft er den Spaten beiseite und zurrt an den Reglern und Ventilen der infernalischen Maschinerie, um dann sofort wieder weiter zu schippen, Stunde um Stunde. Das Feuer ist sein Metier; es ist nicht allein ein Kampf gegen den Orkan, den November dort im Maschinenraum führt, sondern ein beinahe urzeitliches Ringen gegen die Natur an sich, es ist die archaische Auflehnung eines Demiurgen, der, dem Elementar-Chaos trotzend, die eiserne Schaufel einhunderttausendmal wider die Impertinenz der Weltenunordnung erhebt.
Pandora, die noch nie eine derartige Schiffsreise unternommen, sitzt zusammengekauert und schlotternd vor Angst in einer Ecke von Slütters Kajüte. Jedesmal, wenn eine weitere Flasche zerschellt oder ein Instrument Richtung gegenüberliegende Wand saust, heult sie auf, in der Gewißheit, die letzte Stunde ihres kurzen Lebens sei gekommen. Sie fühlt, wie die ungeheure See den Frachter zu zerschmettern droht, es ist die Vorstellung der immensen Menge des Wassers dort draußen, die ihre Todesangst hervorbringt, jene kilometertiefen Abgründe unter ihr, die Ahnung der augenlosen, quastigen, schleimigen Tiere dort unten in der ewigen Dunkelheit. Und Slütter, der unter keinen Umständen die Kommandobrücke verlassen kann, schickt an seiner Statt Apirana hinunter in die Kajüte, er möge sie fest in seinen Armen halten und ihr, dabei ein sanftes Maorilied summend, über den Kopf streichen.
Der Sturm dauert zwei Tage und drei Nächte, in deren Verlauf sich Apirana, November und Slütter literweise kohlrabenschwarzen, gezuckerten
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