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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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nur mit dem Firnis der vielen Monate auf Kabakon überzogen, sondern auch durch den verwirrenden Umzug der Hauptstadt nach Rabaul in völlige Vergessenheit geraten sind, wendet sich zu Queen Emma und blickt in ein dunkles, angenehmes, offenes Gesicht, dessen leicht geöffneter Mund zwei tadellose Zahnreihen freigibt, die ihrerseits von einer nur im Ansatz sichtbaren Zungenspitze durchdrungen werden. Es trifft ihn wie ein elektrischer Schlag. Mit seinen schlanken Händen umfaßt er ihre Hüfte, zieht Emma äußerst männlich an sich und küßt sie in dunkelroter, rauschhafter Hingabe.
    Während Engelhardt drüben auf Kabakon im Schutze der einsetzenden Dunkelheit damit begonnen hat, mit seiner Axt vier Meter tiefe Löcher auszuheben (einige am Strand, andere tief im Urwald), deren Zweck nur er kennt und die er dann aber, kaum ist die knochenschinderische Arbeit daran beendet, mit Zweigen und Palmblättern bedeckt, als habe er vor, die Insel mit Fallgruben zu überziehen, führt Lützow Emma hinunter an den menschenleeren, vom inzwischen aufgegangenen Vollmond mit fahlem Licht bestrichenen Strand. Schon sinken sie hin, und das Fluidum ihrer Gelenkigkeit stockt, verwandelt sich in automatisierte Bewegungen, die von Ferne betrachtet dem Rhythmus einer absurden Mensch-Maschine nahekommen; sie wirken wie ineinander verschlungene, halbnackte Puppen, die am Boden liegend einen spastischen Engtanz absolvieren; der Mond bescheint die beiden hüpfenden Kugeln von Lützows blond behaartem, emporgereckten Hinterteil, ab und an weht ein Stöhnlaut Richtung Gouverneur sresidenz herüber, obwohl es windstill ist. Wenige Seemeilen nordwärts streift ein hinkender, nackter Engelhardt unter demselben Vollmond durch den Urwald seiner Insel, in den erhobenen Händen die Axt.
    Anderntags beschließen Lützow und Emma nicht nur, Rabaul gemeinsam zu verlassen, sondern so schnell als möglich zu heiraten. Eiligst packt man einige Koffer, verriegelt die Flügeltüre der Villa Gunantambu mit einem großen Vorhängeschloß, und während sich die Mitglieder (allen voran die Damen) des Deutschen Klubs zu einer Art spontanen, außerordentlichen Vollversammlung treffen, deren alleiniges Ziel es ist, soviel wie nur möglich über Queen Emma und ihren Musiker zu spotten und beide mit dem Schmutz ihrer von Mißgunst geprägten Ressentiments zu überziehen, laufen beide, gefolgt von einer Schar schwarzer Kofferträger, hinüber zur Gouverneursresidenz, um Hahl die Bitte anzutragen, sie an Ort und Stelle zu vermählen. Emma trägt ihr gebrauchtes, schon seit Jahren nicht mehr ganz blütenweißes Hochzeitskleid.
    Hahl, von dem niemand auch nur im Entferntesten ahnt, daß er seit über einem Jahrzehnt äußerst unglücklich in Emma verliebt ist, hat natürlich schon von der Geschichte gehört; und in manchen Momenten ist ihm, als entgleite ihm die ohnehin recht brüchige Realität, so auch jetzt, da die beiden versonnen lächelnd vor ihm stehen und er, sich kurz zuvor noch Gewissensbisse wegen des vielleicht doch hundsfeigen Mordauftrags erlaubend, sich blitzschnell ein diplomatisches, um nicht zu sagen: falsches Lächeln ins Gesicht beschwört, den beiden seine besten Wünsche ausspricht und augenzwinkernd Lützow anstößt, ob dieser es sich auch gut überlegt habe. Lützow, als könne er die allernächste Zukunft schon sehen, deklamiert mit einem ansehnlichen Grinsen: Doch trunken der Sänger, nicht achtend der Mahnung, zurück in den Orkus wendet den Blick.
    Eine Krawatte ist schnell gefunden, Hahl leiht lachend eine von seinen her, ja, darin sei er ganz prinzipienlos und großherzig, freue er sich doch, daß Lützow augenscheinlich wieder in der Zivilisation angelandet sei; nein, nein, er wolle sie nicht trauen, ein Vorwand ist genauso schnell gefunden wie die Krawatte verliehen, er finde seinen Zwicker nicht; sollen sie nur ohne ihn machen, die jungen Leute (Emma ist jenseits der fünfzig), Slütter sei doch Kapitän, auch er habe das Trauungsrecht, husch, hinab zum Ufersteg, er komme augenblicklich nach, ein Glas Spumante werde er dann auf ihr Wohl stürzen, besser zwei oder drei, Haha. Und Hahl, der Emma allzu oft schon hat heiraten sehen, folgt natürlich nicht nach, sondern beobachtet die beiden, wie sie hinunter zur Jeddah turteln, schließt schweren Ganges die Tür zu seinem Privatgelehrtenzimmer auf (dort hängt im Mahagonirahmen hinter Glas die ubiquitäre Reproduktion von Böcklins Toteninsel), wirft krachend die Tür hinter sich zu, setzt

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